Berlin. . In Berlin gibt es umgerechnet 4,1 Millionen Fahrgastfahrten pro Tag. Was das Ruhrgebiet vom ÖPNV-Angebot in der Hauptstadt lernen kann.
Kein Film, der in Berlin gedreht wird, kommt ohne ihn aus: den „Großen Gelben“, wie der Hauptstädter meist liebevoll den allgegenwärtigen Doppeldecker-Bus der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nennt. Und einer der jüngsten Tatort-Krimis aus Berlin („Dein Name sei Harbinger“) spielte sich beinahe komplett in den Tunneln der hiesigen U-Bahn ab. Auch wenn des Berliners wohl liebste Beschäftigung das lautstarke Meckern über S-Bahn-Ausfälle und BVG-Verspätungen ist („Det kann doch nich wahr sein, schon wieda fünf Minuten üba de Zeit!“), so kann er doch nicht ohne Bus und Bahn.
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Wie gut der Nahverkehr in der deutschen Hauptstadt bei allen Unzulänglichkeiten ist, macht der Blick in die Statistiken deutlich: Rund 1,1 Milliarden Fahrgastfahrten haben allein die landeseigenen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) im Vorjahr gezählt. Und die S-Bahn Berlin, eine hundertprozentige Tochter der bundeseigenen Deutschen Bahn, beförderte 2017 nach eigenen Angaben mehr als 436 Millionen Fahrgäste.
4,1 Millionen Fahrgastfahrten pro Tag
Umgerechnet sind das 4,1 Millionen Fahrgastfahrten pro Tag – bei aktuell 3,5 Millionen Einwohnern in der Stadt. Statistisch gesehen ist also jeder Berliner mindestens einmal täglich mit Bus oder Bahn, gern aber auch zwei oder mehrmals unterwegs (wobei jedes Ein- und Umsteigen in ein anderes Verkehrsmittel gesondert als Fahrt gewertet wird). Die Beförderungsleistung der Berliner Nahverkehrsanbieter übertrifft damit um rund 100.000 Fahrgäste die des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR), in dessen Verantwortungsbereich mehr als acht Millionen Menschen leben.
Womit kann Berlin den Sachen Nahverkehr punkten? Vor allem mit einem opulenten und zudem fast flächendeckenden Angebot. Das größtenteils vor rund 100 Jahren aufgebaute Nahverkehrsnetz wird auch heute noch als eines der dichtesten in ganz Europa bewertet. Es gibt aktuell 15 S-Bahn-, zehn U-Bahn-, 22 Straßenbahn- und 154 Buslinien in der Stadt, die mindestens in einem 20-Minuten-Takt bedient werden. Auf besonders stark frequentierten Strecken wie der Stadtbahntrasse (zwischen Ost- und Westkreuz) fahren S-Bahnen gar im Abstand von zwei bis drei Minuten, und das ab 4 Uhr am Morgen bis kurz nach 1 Uhr in der Nacht. In den Nächten zu Sonnabend und zu Sonntag sogar durchgehend.
Wachsende Zahl der Stammkunden: 500.000 Ticket-Abonnenten
Die BVG-Chefin Sigrid Nikutta verweist bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf, dass es eigentlich keinen Winkel in der Stadt gibt, der nicht mit Bus oder Bahn erreichbar ist. Zudem hat sie in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Image-Wechsel hinbekommen. Weg von einem schwerfälligen, kundenfeindlichen Unternehmen, hin zu einem hippen und modernen Dienstleister. Gerade für junge Berliner gehört es heute zum Lebensstil, kein Auto mehr zu haben, stattdessen mit Bus, Bahn oder immer öfter auch mit dem Rad die Ziele in der Stadt zu „erfahren“. Beigetragen dazu hat nicht zuletzt eine auf allen Kommunikationskanälen präsente und mehrfach preisgekrönte Werbekampagne der BVG mit ihren meist witzigen, oft selbstironischen Twitter-Sprüchen (etwa der: „Ringo Starr spielt heute in Berlin: Endlich jemand in der Stadt, der noch schlechter den Takt halten kann“).
Wie gut das Angebot angenommen wird, zeigt die stetig wachsende Zahl der Stammkunden. Gerade erst hat die BVG den Sprung über die Marke von 500.000 Ticket-Abonnenten verkündet. Gegenüber 2007 hat sich die Zahl der Stammnutzer damit um rund 150 Prozent erhöht. Die S-Bahn hat aktuell rund 220.000 Abonnenten von Monats- und Jahreskarten, wobei die Tickets in allen Verkehrsmitteln der Unternehmen des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg gelten.
Einzelfahrschein zum Preis von 2,80 Euro
Ein weiterer Pluspunkt ist das gegenüber anderen Städten einfache und schnell verständliche Tarifsystem. Anders als etwa in Hamburg oder München gibt es faktisch nur zwei Tarifzonen: Die eine umfasst die gesamte Stadt Berlin (Tarifzone AB), bei der zweiten (Tarifzonen ABC) kommt noch der „Speckgürtel“, also das unmittelbar angrenzende Umland in Brandenburg hinzu. Mit einem Einzelfahrschein AB zum Preis von 2,80 Euro kann der Fahrgast von Friedrichshagen im Osten bis nach Spandau im Westen fahren, mit dem ABC-Ticket für 3,40 Euro kommt man auch noch bis in Brandenburgs Landeshauptstadt Potsdam oder zum Flughafen Schönefeld.
Die meisten Berliner nutzen aber ohnehin die Flat-Rate-Variante, also die Monatskarte für 81 Euro (AB) sowie 100,50 Euro (ABC) oder Jahreskarten ab 728 Euro. Zudem gibt es zahlreiche vergünstigte Ticket-Angebote: Als besonders erfolgreich erwies sich die 2009 erfolgte Einführung des VBB-Abos 65plus (für alle, die 65 Jahre und älter sind), das aktuell 593 Euro im Jahr kostet und Fahrten in ganz Berlin und Brandenburg ermöglicht. Bereits seit vielen Jahren gibt es auch ein Sozialticket. Erst zum 1. Juli hat die rot-rot-grüne Regierungskoalition den Monatspreis für das sogenannte Berlin-Ticket S von 36 auf 27,50 Euro reduziert – und zudem den Kreis der Anspruchsberechtigten auch auf Wohngeld-Empfänger oder Bezieher von Opfer-Renten kräftig ausgeweitet. Für die Preissenkung stockte der Senat seine Zahlungen an die Verkehrsunternehmen in diesem Jahr um 7,5 Millionen Euro und im nächsten Jahr um 15 Millionen Euro auf.
1050 neue U-Bahn-Wagen
Die Kehrseite des Nahverkehrs-Booms: Immer öfter stoßen BVG und S-Bahn an ihre Kapazitätsgrenzen. Vor allem im Berufsverkehr, immer öfter aber auch an den Wochenenden reichen die Plätze in den Bussen und Bahnen nicht mehr aus. Ein Grund dafür: Vor allem bei S- und U-Bahn wurde viele Jahre lang aus Spargründen nicht in neue Fahrzeuge investiert. Der Fuhrpark der U-Bahn (rund 1300 Wagen) hat inzwischen ein Durchschnittsalter von 30 Jahren, teilweise fahren aber auch Triebwagen mit mehr als 50 Jahren Einsatzzeit durch die Stadt. Entsprechend störanfällig sind die Fahrzeuge, sie müssen häufiger und zudem oft außerplanmäßig in die Werkstatt. Die Fahrgäste bekommen das in Form von Verspätungen, Kurzzügen und Komplettausfällen zu spüren.
Besserung ist aber in Sicht. Für die S-Bahn sind bereits knapp 400 neue Wagen bestellt, der Prototyp wurde gerade vorgestellt. Zum regulären Einsatz werden die Züge allerdings erst ab 2021 kommen. Auch bei der BVG will der Senat weg von einer Fahrzeugbeschaffung nach Kassenlage. Das Unternehmen steht gerade davor, den größten Kaufauftrag in der Nachkriegsgeschichte zu vergeben (Volumen: 3,1 Milliarden Euro). Auf der Kaufliste stehen allein 1050 neue U-Bahn-Wagen sowie Hunderte neue Straßenbahnen und Busse. Letztere sollen ab 2025 abgasfrei – also ohne Verbrennungsmotoren – durch die Stadt fahren. Aber auch da wird der Berliner sicher wieder was zu meckern haben.