Ruhrgebiet. . Die Landesregierung verstärkt die Einsatzkräfte und die Justiz. Regelmäßige Razzien in den Problemvierteln sollen kriminelle Netzwerke zerstören.

„Flagge zeigen, da sein, schnell sein, konsequent sein.“ Das ist die Methode, mit der die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gegen Clan-Kriminalität vorgehen will. „No-Go-Areas“, in denen der Staat sein Gewaltmonopol nicht mehr durchsetzen kann, soll es nicht geben. „Wir wollen zeigen, dass der Staat da ist, dass die Polizei sich kümmert“, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU).

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Gerne taucht der Minister selbst bei Razzien in den Ruhrgebietsstädten auf, um die neue Linie von „Robustheit und Führungsstärke“ zu unterstreichen. So war Reul auch an jenem späten Abend im April in Essen vor Ort, als 300 Polizeibeamte und 70 Mitarbeiter städtischer Behörden, Zoll und Finanzamt rund 800 Personen und mehrere Dutzend Gebäude in der nördlichen Innenstadt durchsuchten – Clan-Gebiet. „Wir stören sie. Wir treten dem Machtanspruch der Clanfürsten selbstbewusst entgegen“, sagte Reul mit ernster Miene.

Einsatzhundertschaften werden im Ruhrgebiet verstärkt

Ein paar Monate zuvor hatte der Minister eine Gruppe des Rockervereins „Hells Angels“ in Erkrath verboten. „Der Rechtsstaat nimmt nicht hin, dass Parallelgesellschaften wuchern, in denen seine Autorität und das Gewaltmonopol missachtet werden“, betonte Reul. Dafür sollen Einsatzhundertschaften der Polizei im Ruhrgebiet verstärkt und die Justiz aufgerüstet werden.

Solche Aktionen sollen als konkrete Kampfansage des Staates an organisierte kriminelle Strukturen verstanden werden und zugleich den Bürgern ihr ins Wanken geratenes Sicherheitsgefühl zurückgeben. Überall in den Problemvierteln der Ruhrgebietsstädte erhöht die Polizei den Druck. In Gelsenkirchen, Duisburg, Dortmund und Essen zeigt sie Stärke und steigerte die Frequenz der Razzien.

Die Szene weicht aus

Und das zeigt offenbar Wirkung. Unter dem Druck der regelmäßigen Aktionen weicht die Szene in andere Stadtviertel aus, beobachteten nicht nur die Essener Strafverfolger. Doch Polizei, Stadt, Zoll und auch die Finanzbehörden setzen nach. „Wir kennen die Bewegungsbilder und erkennen, wenn sich die Aktivitäten verlagern“, sagte der Essener Polizeipräsident Frank Richter.

In nur einem Monat gab es in Essen 20 Festnahmen, 60 Strafanzeigen wurden gestellt, vor allem wegen Drogendelikten, Verstößen gegen das Waffengesetz, Fahrens ohne Führerschein oder des Verdachts eines illegalen Aufenthalts. Insgesamt überprüfte die Polizei 1250 Personen und beschlagnahmte Waffen, Autos und Tabak.

Aktionen sollen die Clans stören

Intern gilt diese Strategie als Erfolg, „wir werden unser Präsenzkonzept weiterfahren“, kündigte Polizeipräsident Richter an. Denn jede einzelne dieser Aktionen störe die Kreise der Clans, ist er überzeugt. Durch die Razzien würden die Netzwerke sichtbarer, etwa „wer welche Verbindungen zu wem hat, womit das Geld verdient wird und wer Sozialleistungen zu Unrecht kassiert“.

Eine ähnliche Strategie wird in Dortmund verfolgt. Erst Anfang dieser Woche durchkämmten die Beamten die Nordstadt bis in die frühen Morgenstunden und kontrollierten Dutzende Personen, stellten Drogen sicher. Ziel des Einsatzes war es, an Kriminalitätsschwerpunkten „deutlich wahrnehmbare Kontrollen durchzuführen“, wie die Polizei mitteilte. Mit regelmäßigen Razzien in der Nordstadt sollen Clan-Strukturen zerschlagen und illegale Geschäfte gestört werden.

Intensive Ermittlungsarbeit im Vorfeld

Seit Jahresbeginn gab es in Dortmund bereits 130 Razzien – im Polizeijargon „Schwerpunktkontrollen“ genannt. Alle Aktionen zielten auf die Clan-Kriminalität. Dabei wurden knapp 1000 Personen kontrolliert, 70 Strafanzeigen gestellt und vier Personen festgenommen.

Doch nicht allein die regelmäßigen Einsätze erhöhen den Druck. Intensive Ermittlungen des für organisierte Kriminalität zuständigen Kriminalkommissariats hätten in den vergangenen drei Jahren dazu geführt, dass 60 führende Köpfe der Szene überführt und zu Haftstrafen von insgesamt 244 Jahren verurteilt werden konnten, heißt es in der Bilanz für das erste Halbjahr 2018 der Dortmunder Polizeibehörde. Auch der dortige Polizeipräsident Gregor Lange verfolgt konsequent eine Null-Toleranz-Strategie: „Wir machen verbrecherischen Clans mit kriminalistischer Akribie und Hartnäckigkeit immer wieder klar, dass sie in Dortmund nichts zu suchen haben.“

Manchem wurde das Pflaster zu heiß

Justizminister Peter Biesenbach (CDU) hat sich in den Kampf gegen kriminelle Clans eingeklinkt. Unter dem Projekttitel „Staatsanwälte vor Ort“ kümmern sich seit ein paar Wochen im Duisburger Norden zwei Staatsanwälte ausschließlich um Straftaten, die von den rund 70 dort lebenden Großfamilien ausgehen.

Bei einem Erfolg des Pilotprojekts könnten weitere Ruhrgebietstädte dem Vorbild folgen. Die Clan-Kriminalität habe im Duisburger Norden Ausmaße angenommen, die eine abgestimmte Aktion des Staates nötig mache, sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Duisburg, Horst Bien. „Wir wollen die Hoheit des Rechtsstaats auch im Norden wiedergewinnen.“

Kein Respekt vor der Polizei

Das dürfte nicht einfach werden. Polizeigewerkschafter Arnold Plickert sagte nach der Razzia im April in Essen: „Der Respekt vor der Polizei tendiert bei diesen Clans gegen Null.“ Thomas Jungbluth, leitender Kriminaldirektor beim Landeskriminalamt NRW, forderte eine intensivere länderübergreifende Zusammenarbeit der Behörden: „Damit Clan-Kriminalität effektiv bekämpft werden kann, müssen Behörden in Bund und Ländern noch enger miteinander zusammenarbeiten.“

Aber offenbar wurde manchem Clan-Mitglied bereits das Pflaster im Ruhrgebiet zu heiß. So beobachtete die Polizei in Essen, dass sich einige Personen nach Bremen oder Berlin abgesetzt haben – um dort in libanesischen Gruppen unterzutauchen.