Düsseldorf. . „Sami A. war gefährlich und sollte zügig das Land verlassen“, sagte der FDP-Minister im NRW-Landtag. Die SPD wirft ihm „Selbstjustiz“ vor.
In seinen bisher heikelsten Auftritt als Landesminister ging Joachim Stamp (FDP) mit offenem Visier. Gleich zwei Landtags-Ausschüsse forderten von ihm am Freitag in einer Sondersitzung Aufklärung, was bei der Abschiebung des Tunesiers Sami A. vor einer Woche geschah. Stamp versuchte gar nicht erst, die Verantwortung bei anderen abzuladen. Er selbst habe als Flüchtlingsminister veranlasst, diese Rückführung „zügig und diskret“ durchzuführen. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum derzeit umstrittensten Thema der Landespolitik:
Warum löst die Abschiebung so viel Wirbel aus?
Sicher nicht aus Mitleid mit Sami A. Auch SPD und Grüne im Landtag betonen, sie seien froh, dass dieser gefährliche Mann nicht mehr im Land ist. Es steht aber der Verdacht im Raum, das NRW-Flüchtlingsministerium könnte bei der Abschiebung „getrickst“ haben. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, das die Abschiebung verhindern wollte, weil es eine Foltergefahr für ihn in Tunesien sieht, wurde jedenfalls nicht über die Absicht informiert, Sami A. per Charterflug am Freitag, 13. Juli, nach Tunesien zu bringen.
Noch am 12. Juli hatte das Verwaltungsgericht Kontakt zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Das Bamf erklärte den Richtern, ein ursprünglich für den Abend des 12. Juli geplanter Abschiebeflug sei storniert worden. Das Gericht hatte vom Bamf verlangt, stets informiert zu werden, wenn die Abschiebung von Sami A. bevorsteht. Dennoch fiel am 12. Juli beim Bamf kein Wort über den längst geplanten Abschiebeflug am Morgen des 13. Juli. Minister Stamp sagte gestern, das Bamf habe dies auch nicht gewusst. Nur die Bundespolizei sei eingeweiht worden, und das sei rechtlich auch in Ordnung.
Das Verbot der Abschiebung durch das Gericht erreichte das Flüchtlingsministerium am Freitag erst kurz vor der Landung der Chartermaschine in Tunesien. Zu spät, um die Rückführung stoppen zu können, so Stamp.
Was sagen SPD und Grüne?
Sie sprechen von „Trickserei“ auf Kosten des Rechtsstaats. „Sie wollten eine heimliche Abschiebung hinter dem Rücken des Gerichts“, warf SPD-Fraktionsvize Sven Wolf dem Minister vor. Stamp stürze das Land in eine „Vertrauenskrise“, Wolf sprach sogar von möglicher Selbstjustiz. Stefan Engstfeld (Grüne) vermutet, dass das Flüchtlingsministerium das Bamf bewusst nicht über den Charterflug am 13. Juli informiert habe, weil sonst ein Hindernis für die politisch gewollte Abschiebung aufgetaucht wäre. Die Opposition meint, das Flüchtlingsministerium habe jederzeit gewusst, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Bedenken gegen die Abschiebung hatte. Es sollte aber nichts davon erfahren.
Was entgegnet der Minister?
Er habe das Gericht nicht über den Abschiebetermin 13. Juli informieren müssen, weil es kein „Gesprächspartner“ für ihn und sein Ministerium war. Er habe auch das Bamf nicht in Kenntnis setzen müssen. Für die von ihm gewünschte „zügige“ und „diskrete“ Abschiebung habe es gereicht, die Bundespolizei einzubinden. Diese „Diskretion“ bei der Rückführung des Tunesiers sei nötig gewesen, damit nichts darüber „durchsickern“ und an die Medien gelangen könne. Indiskretionen hätten zu Problemen bei der Abschiebung führen können. Kurios ist, dass dennoch Journalisten davon erfuhren und über die Abschiebung berichten konnten.
„Die rechtlichen Voraussetzungen für die Abschiebung lagen vollständig vor“, behauptet Stamp. Er betonte auch, dass Sami A.s Anwältin nicht den vollen Rechtsschutz für ihren Mandanten beantragt habe. Die Abschiebung wäre sofort gestoppt worden, wäre das Verbot durch die Richter rechtzeitig im Ministerium eingetroffen.
Hatte Sami A. die Chance, die Abschiebung zu verhindern?
Laut Flüchtlingsministerium hatte er in der Abschiebehaftanstalt Büren am Morgen keine Gelegenheit, einen Anwalt zu benachrichtigen. Später, auf dem Flughafen, sei die Bundespolizei zuständig gewesen. Ob diese A. auf seine Rechte aufmerksam machte, wisse das Ministerium nicht. A. bestreitet, diese Chance bekommen zu haben.
>>> OBERVERWALTUNGSGERICHT EINGESCHALTET
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat nach der Abschiebung die Rückholung von Sami A. angeordnet. Angeblich droht ihm Folter in Tunesien. Gegen diesen Beschluss protestiert die Stadt Bochum beim NRW-Oberverwaltungsgericht (OVG). Die Ausländerbehörde Bochum ist formal für den Fall zuständig. Das OVG wird diese Beschwerde prüfen.