Düsseldorf. . NRW-Schulministerin lässt an öffentlichen Schulen Daten zum ausgefallenen Unterricht digital erfassen. Bewerbungsphase für Talentschulen startet.

Fast 20 Jahre diskutierten in NRW Schüler, Eltern, Lehrer und Bildungspolitiker über den Wahrheitsgehalt von Unterrichtsausfall-Statistiken. Die vorerst letzte Veröffentlichung einer Stichprobe ergab im Schuljahr 2015/16 einen Anteil von 1,8 Prozent ersatzlos ausgefallenem Unterricht. Die damalige Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) musste sich dafür allerlei Spott gefallen lassen, obwohl sie die Messmethoden ihrer Amtsvorgängerinnen angewendet hatte. Die offizielle, sehr niedrige Ausfallquote brach sich eben an der Alltagserfahrung vieler Mütter und Väter.

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Nun soll alles anders werden. Die neue Ministerin Yvonne Gebauer (FDP) lässt nach den Sommerferien erstmals an allen rund 5000 öffentlichen Schulen in NRW die Daten zum erteilten und ausgefallenen Unterricht digital erfassen. In allen Schulbüros wird eine neue Software aufgespielt, um möglichst jede Stunde, die gegeben, vertreten, außerschulisch verplant oder gestrichen wird, ausweisen zu können. „Der Aufwand lohnt sich und ist im Sinne der Transparenz auch notwendig“, sagte Gebauer am Dienstag.

Erste Zahlen nach Ablauf des Schuljahres 2018/19

CDU und FDP hatten im Wahlkampf eine schulscharfe Unterrichtsausfall-Statistik „auf Knopfdruck“ versprochen und wollen die Geheimniskrämerei beenden. Die erste umfassende Veröffentlichung ist nach Ablauf des Schuljahres 2018/19 geplant. Danach sollen die Zahlen alle drei Monate ausgeworfen werden und auch für jede einzelne Schule sichtbar sein. „Gefühlte Wahrheiten werden wir durch verlässliche Zahlen ersetzen“, kündigte Gebauer an.

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP)
NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) © Stefan Arend

Die Schulen bekommen eine Stunde pro Woche Arbeitszeit zusätzlich zur Statistikpflege gutgeschrieben, was landesweit 183 Stellen extra ausmacht. Die Lehrergewerkschaften sehen das Vorhaben kritisch. „Vom Wiegen allein wird die Sau nicht fett. Ohne ausreichend Personal kommt es zum Unterrichtsausfall – ganz einfach“, kommentierte der Verband Bildung und Erziehung (VBE) bissig.

Ausfallquote wird schlechter ausfallen

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Gebauer schwebt jedoch eine bessere Orientierung für Eltern, Schulaufsicht und das Lehrerkollegium selbst vor. „Wir wollen niemanden an den Pranger stellen, sondern schauen, wie wir strukturelle Probleme lösen“, erklärte sie. Das neue Statistik-Portal sieht eine Differenzierung zwischen ersatzlosem Stundenausfall, Vertretungsunterricht, Stillarbeit in anderem Klassenverband oder Exkursionen vor. Besondere Umstände wie Dauererkrankungen oder Schwangerschaften im Kollegium können gesondert gekennzeichnet werden.

Gebauer geht davon aus, dass die Schulen den Unterrichtsausfall „wahrheitsgemäß eintragen“, da nur so mit Personal oder besonderen Maßnahmen vor Ort geholfen werden könne. Das größte Risiko der neuen Statistik trage ohnehin sie als Ministerin: Die Ausfallquote werde auf jeden Fall schlechter ausfallen als die 1,7 Prozent der bisherigen Stichprobenmessung.

Jury wählt erste Talentschulen aus

Gestalt nimmt auch ein weiteres bildungspolitisches Vorhaben der Landesregierung an: Bis Anfang Dezember sollen sich Schulträger und Schulen darum bewerben können, „Talentschule“ zu werden. Im Rahmen eines über sechs Jahre laufenden Schulversuchs sollen 45 allgemeinbildende und 15 berufsbildende Schulen in NRW besonders gut ausgestattet werden, um in Problemstadtteilen Kindern aus schwierigen Verhältnissen Aufstiegschancen zu eröffnen.

© Gerd Bertelmann

Eine Jury, die Gebauer bis zum Herbst beruft, soll zunächst 35 Schulen auswählen, die zu bildungspolitischen „Leuchttürmen“ werden. Das Land gewährt ihnen 20 Prozent mehr Stellen, zusätzliche Sozialarbeiter, ein höheres Fortbildungsbudget und bessere Ausstattung. Geschätzt 20 Millionen Euro wird die Initiative kosten. Von den landesweit 60 Talentschulen „dürfte ein signifikanter Teil auf die Region Ruhr entfallen“, so Gebauer.

>> DAUERSTREIT UM INKLUSION

Noch vor der Sommerpause will NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) das Dauerkonfliktthema Inklusion abräumen: Sie werde in den nächsten Tagen ihr Eckpunkte-Papier für die Neuaufstellung des gemeinsamen Unterrichts von Kindern mit und ohne Handicap vorstellen, sagte ein Sprecher. Verbände hatten das Strategiepapier in dieser Woche erwartet. Die Ministerin will die Zahl der rund 1000 inklusiven weiterführenden Schulen reduzieren, ab 2019 aber besser ausstatten und Förderschulen stärken. Offen ist auch noch die Finanzierungsfrage.

Erste Schulen laufen laut Lehrergewerkschaft GEW Sturm. Sie bekämen bereits ab Sommer mehr Kinder mit Förderbedarf zugewiesen, müssten zugleich Sonderpädagogen an Förderschulen abgeben. „Fakten schaffen ohne begleitende Verbesserung der Ressourcen“, so die GEW-Kritik. (stew)

>> GELD FÜR WECHSEL ZU G9

Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hat den Städten zusätzliche Landeshilfe für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9) in Aussicht gestellt. Bis 2026 sollen die Schulträger 518 Millionen Euro erhalten, um durch die Umstellung anfallende Kosten auszugleichen. Ab dem darauffolgenden Jahr, wenn es erstmals wieder einen 13. Jahrgang an den Gymnasien gibt, stehen den Schulträgern zusätzlich 20 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Mit dem Geld soll unter anderem der Bedarf nach mehr Klassenzimmern gedeckt werden. Das Landeskabinett stimmte dem Plan am Dienstag zu.

Der Wechsel vom achtjährigen „Turbo-Abitur“ zu G9 ist heute Thema im Schulausschuss. Im Herbst sollen sich die Gymnasien per Schulkonferenzbeschluss aktiv für G8 entscheiden – ansonsten kehren sie automatisch ab 2019/20 zu G9 zurück. Das Schulministerium rechnet damit, dass sich über 90 Prozent der Gymnasien vom „Turbo-Abi“ verabschieden.

Lehrpläne für eine Neuauflage von G9 gibt es noch nicht. Sie würden aktuell entwickelt, so die Bezirksregierung Arnsberg. Ende des Jahres sollen sie vorliegen und den Schulen vorgestellt werden. Das Curriculum soll die Digitalisierung stärker auf den Plan rücken. (geko)