Essen. Das Turbo-Abitur wurde mit großen Kraftanstrengungen eingeführt. Jetzt nimmt das Land laut einer Umfrage dieser Zeitung wieder Abschied vom G8.

Die Gymnasien im Ruhrgebiet schaffen das Turbo-Abitur wieder ab. Das geht aus einer WAZ-Umfrage unter den 142 öffentlichen Gymnasien der Region hervor. In 128 vorliegenden Antworten erklärten die Schulleitungen, dass sie ab dem Jahr 2019/20 aller Voraussicht nach zum neunjährigen Gymnasium (G 9) zurückkehren und damit dem von der schwarz-gelben Landesregierung geplanten Regelfall folgen. Kein Gymnasium ließ erkennen, dass es beim Turbo-Abitur (G 8) bleiben will. Bisher war das Land davon ausgegangen, dass jedes zehnte NRW-Gymnasium G 8 fortsetzt.

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Schüler einer ersten Klasse sitzen am 29.07.2014 in einer Grundschule in Kaufbeuren (Bayern) und lesen ihre Zeugnisse. Für rund 1,54 Millionen Schüler in Bayern beginnen die Sommerferien. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Von Stephanie Weltmann und Sebastian Hetheier

Per Leitentscheidung soll das Abitur in NRW grundsätzlich ab dem Sommer 2019 wieder nach neun statt acht Jahren gemacht werden. Gymnasien haben aber die Möglichkeit, im nächsten Schuljahr per Schulkonferenz-Entscheid eine Ausnahme für G 8 zu beantragen. Ein fertiges Gesetz zu dieser Reform liegt noch nicht vor. Da sich jetzige Viertklässler im Februar für eine weiterführende Schule entscheiden müssen, haben sich viele Gymnasien vorab positioniert.

„Keine Schule will sich dem Wandel verschließen“

In Duisburg, Herne oder Bottrop haben sich die Direktoren geschlossen auf eine Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren verständigt. In Mülheim geben alle fünf und in Gelsenkirchen die acht G 8-Gymnasien an, dass sie das Turbo-Abitur abschaffen wollen. Dem schließen sich elf der zwölf privaten und konfessionellen Gymnasien im Revier an.

Rüdiger Käuser, der als Vorsitzender der westfälisch-lippischen Direktorenkonferenz rund 300 Schulleiter vertritt, bestätigt die Umfrage: „Keine Schule will sich dem Wandel verschließen, der sich auch in der Gesellschaft abzeichnet.“ Das Ergebnis deckt sich auch mit einer unveröffentlichten Abfrage der fünf Bezirksregierungen in NRW. Nach Informationen dieser Zeitung hat sich nur eine Handvoll von über 500 befragten Direktoren nicht zu G 9 bekannt.

Interessensverbände fordern vom Land eine ausnahmslose Abkehr vom Turbo-Abitur. Dorothea Schäfer von der GEW-Lehrergewerkschaft sagte: „Wir haben jetzt die Möglichkeit, die Rückkehr zu G 9 gut vorzubereiten.“ Das Land solle dies nicht verkomplizieren. Die Landeselternschaft der Gymnasien und die Landesschülervertretung warnen vor Unruhe in den Schulen. Ein Sprecher des Schulministeriums verteidigte das Vorgehen: „Wo G 8 funktioniert, kann es fortgeführt werden.“

Das Hin und Her von G8 und G9

Was bedeutet G8 und G9?

G8 bedeutet, dass die Mittelstufe in insgesamt fünf Schuljahren organisiert wird. G9 bedeutet, dass die Mittelstufe in sechs Schuljahren absolviert wird. In beiden Fällen schließen sich drei Jahre Oberstufe an.

Mit G8 mehr Schulstunden pro Woche und weniger Freizeit

In acht Schuljahren sollen die gleichen Inhalte in kürzerer Zeit vermittelt werden. Müssen die Schüler, die neun Jahre zur Schule gingen durchschnittlich 30-31 Stunden die Woche im Unterricht sitzen, müssen Schüler des achtstufigen Gymnasiums durchschnittlich 33-34 Stunden pro Woche die Schulbank drücken. Das bedeutet regelmäßigen Nachmittagsunterricht.

Das sagen die Kritiker von G8

Viele Eltern, Schüler und Lehrer beklagen, dass in fünf Schuljahren ein entspanntes Lernen nicht möglich sei. Zeit für Projekte bliebe kaum. Schüler litten unter dem Druck und müssten Hobbys aufgeben. Eine weitere Auswirkung von G8 ist, dass immer mehr Minderjährige ins Studium starten und für viele Prozesse die Einwilligung der Eltern brauchen.

Das sagten die Befürworter von G8

Befürworter betonen, dass das Turboabi die Schüler auf den späteren Leistungsdruck in Uni und Arbeitsleben vorbereite. Außerdem seien im internationalen Vergleich die deutschen Abiturienten zu alt und damit nicht wettbewerbsfähig. Durch die verkürzte Schulzeit würden sie zudem ein Jahr früher Steuern und Sozialabgaben zahlen sowie früher in die Rente einzahlen.

Rückwärtsrolle zu G9: Mit Abschluss in die Oberstufe

Zum Ende der Sekundarstufe 1 in der 10. Klasse erhalten die G9-Schüler nach bestandener zentraler Prüfung wieder einen mittleren Schulabschluss. Bei G8 wechseln die Jugendlichen nach der 9. Klasse ohne Abschluss in die Oberstufe.

Zweite Fremdsprache wieder ab der 7. Klasse

Wahrscheinlich beginnt die zweite Fremdsprache im G9-Modell wieder ab der siebten Klasse. Laut Schulministerium sprechen sich alle Fachverbände für diesen Schritt aus. Bei G8 starteten die Schüler bereits in der 6. Klasse mit dem Unterricht in Spanisch, Französisch etc.

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