Essen. . Umfrage unter den Gymnasien in den Städten und Kreisen: Vom Land geplante Option aufs Turbo-Abi wird nicht genutzt. Wechsel birgt auch Probleme.
In Herne haben die Eltern sogar applaudiert. Das Otto-Hahn-Gymnasium hatte die Familien interessierter Viertklässler eingeladen, um sie vor dem anstehenden Wechsel auf die weiterführende Schule über das Gymnasium zu informieren. Vor 300 Gästen beantwortete Direktor Egon Steinkamp auch die zentrale Frage: Kehrt seine Schule zum Abitur nach neun Jahren (G 9) zurück? „Als ich sagte, dass alle fünf Herner Gymnasien geschlossen zu G 9 zurückkehren werden, gab es offenen Applaus“, sagt Steinkamp. Und bemerkt: „Erst wurden wir getrieben, junge Leute schnell zum Abitur zu bringen, jetzt wollen die Eltern ganz eindeutig einen entschleunigten Schulalltag für ihre Kinder.“
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Diesem Wunsch wollen offenkundig deutlich mehr Schulen in NRW Rechnung tragen als erwartet. Das zeigt eine Umfrage dieser Zeitung und ihrer Lokalredaktionen unter den 142 öffentlichen Schulen in elf kreisfreien Städten und den vier Kreisen der Region. Ergänzt durch Recherchen des „Westfälischen Anzeigers“ im Fall der Stadt Hamm ist ein umfassendes Bild über 128 Schulen entstanden, die sich eindeutig geäußert haben: Nicht eine einzige erklärte, dass sie aktiv beim Turbo-Abitur bleiben wolle.
G 8 hat kaum noch eine Lobby
Grundsätzlich gilt mit dem Schuljahr 2019/20 in NRW: Alle Gymnasien kehren per Leitentscheidung des Landes zurück zum Abitur nach neun statt wie bisher acht Jahren (G 8). Im derzeitigen Gesetzesentwurf ist aber eine Hintertür vorgesehen: Nach den diesjährigen Sommerferien kann die Schulkonferenz, ein Gremium aus je sechs Lehrern, Eltern und Schülern, beantragen, beim Turbo-Abi zu bleiben. Bisher war das Schulministerium davon ausgegangen, dass jede zehnte Schule diese Option nutzt.
Doch weit gefehlt: Obwohl noch viele G 9-Details offen sind, haben sich die Direktoren in vielen Revierstädten über eine gemeinsame Rückkehr zu G 9 verständigt. Das gilt etwa für Duisburg, für Bottrop oder Bochum. Dutzende Schulleiter berichten zudem von Probeabstimmungen unter Eltern und Lehrern zugunsten G 9, an denen man sich orientieren wolle. An der Otto-Pankok-Schule in Mülheim stimmten 93 Prozent der Eltern für G 9. Vielfach haben Schulkonferenzen ein nicht bindendes Vorab-Votum abgegeben. „Eltern, die sich G 8 wünschen, sind eine sehr begrenzte Minderheit“, heißt es im Albrecht-Dürer-Gymnasium Hagen.
Umstellung erst 2019
Das Stimmungsbild in den Städten ist klar: Lediglich aus vier Gymnasien in Dortmund und Hagen fehlen Angaben. In den Kreisen Unna, Recklinghausen, Ennepe-Ruhr und Wesel zeichnet sich ein ähnliches Bild: 44 von 55 Gymnasien antworteten. Auch bei ihnen zeichnet sich eine Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren ab.
Wie sich die Gymnasien positionieren, ist für die heutigen Viertklässler von entscheidender Bedeutung. Zwar soll die Umstellung auf G 9 erst 2019 beginnen. Betroffen sind davon aber alle Kinder, die dann in der fünften und der sechsten Klasse sind. Also auch die heutigen Viertklässler.
Vermutet wird unter den öffentlichen Schulen, dass besonders die privaten Gymnasien als G 8-Schule ihr Profil schärfen wollen. Auch das ließ sich in der Umfrage nicht bestätigen. Im Revier gibt es zwölf private, meist konfessionelle Gymnasien. Mindestens zehn von ihnen wollen laut Träger tendenziell zu G 9 zurückkehren. Lediglich außerhalb des Reviers, im Bistum Köln, gebe es eine Schule, die sich nicht klar zu G 9 bekannt habe.
Lehrpläne müssen neu erarbeitet werden
Die Tendenz muss indes nicht bedeuten, dass die Schulen mit wehenden Fahnen in den erneuten Wechsel einsteigen. Viele Schulleiter merken an, dass sie mit G 8 durchaus gut gefahren seien. „Der Wechsel zu G 8 war damals sehr aufwendig, wir haben bis zuletzt daran gearbeitet, das zu optimieren, und es hätte auch geklappt“, sagt Bernhard Arens, Vorsitzender der Bochumer Bezirksdirektorenkonferenz. Gabriele von Heymann berichtet, wie sie als Leiterin das Gymnasium Essen-Überruhr mit neuen Konzepten aufwendig neu aufgestellt hat. „Vor meiner Pensionierung wird es nun meine Aufgabe sein, alles wieder zurückzudrehen.“ Das sei Ressourcenverschwendung, fügt sie bitter hinzu.
Zumal die Schulen viele Probleme befürchten: Mit mehr Schülern drohen Raumnot und Lehrermangel, Lehrpläne müssen neu erarbeitet werden. Dass die Pädagogen bei G 9 viel mehr Unterrichtszeit hätten, hält von Heymann zudem für Irrglauben. In der Unterstufe rechnet sie mit nur 17 Stunden mehr.
Das Hin und Her von G8 und G9