Essen. Hauptgrund für sprunghaft gestiegene Zahlen junger Patienten ist die verstärkte Migration. Es drohen volle Wartezimmer und Aufnahmesperren.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) warnt vor einem Versorgungsengpass in den Kinderarztpraxen in ganz Deutschland, auch im Ruhrgebiet. Gründe dafür seien gestiegene Patientenzahlen, stetig wachsende Anforderungen an die Mediziner und ein hoher Altersdurchschnitt im Ärztekollegium. Betroffen sind, so der Verband, nicht nur ländliche Regionen. Auch in Ballungszentren wie dem Revier drohen volle Wartezimmer und Aufnahmesperren.

Gestiegene Geburtenrate und verstärkte Migration

Gerade im Ruhrgebiet sei der überproportionale Patientenzuwachs besonders zu spüren, heißt es aus dem BVKJ-Landesverband Nordrhein. Hauptgrund für sprunghaft gestiegene Zahlen junger Patienten sei die verstärkte Migration der vergangenen Jahre. Auch die wieder gestiegene Geburtenrate der heimischen Bevölkerung mache sich in den Praxen bemerkbar. So kamen allein in Gelsenkirchen im Jahr 2014 rund 600 Patienten unter sechs Jahren hinzu, berichtet der Kinderarzt Christof Rupieper.

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Im selben Zeitraum hat sich die gesetzliche Bedarfsplanung hingegen nicht geändert, bemängeln die Mediziner. Der in Berlin beschlossene Verteilungsschlüssel besteht im Kern seit 1993 und sieht eine Verteilung in den Ruhrgebietsstädten von 3527 Patienten pro Kinderarzt vor.

Die offiziellen Zahlen zur Versorgung mit Kinderärzten im Ruhrgebiet widersprechen den Klagen der Ärzte zumindest auf dem Papier. Laut Bedarfsplanung sind sämtliche Revierstädte sogar überversorgt: In Duisburg beträgt der Versorgungsgrad laut Ärztevereinigung 128,1 Prozent des vom Gesetzgeber festgelegten Schlüssels, in Essen sogar 156,5 Prozent. Spitzenreiter im Revier ist Bochum mit einer Rate von 182,4 Prozent. Selbst Gelsenkirchen als Schlusslicht der Region ist auf dem Papier mit 113 Prozent noch leicht über Soll. Als überversorgt gilt ein Bezirk, wenn sein Versorgungsgrad über 110 Prozent liegt.

Genau das ist den Praktikern zufolge das große Problem: In formal überversorgten Gebieten dürfen sich keine neuen Ärzte niederlassen, es drohe sogar die Nichtbesetzung von frei werdenden Arztstellen, so der BVKJ Nordrhein. Der Berufsverband sieht darin ein Dilemma, weil der alte Bedarfsplan nicht die aktuelle Arbeitsrealität vieler Kinderärzte widerspiegele. „Das Problem ist, dass die Bedarfsregelung nicht spontan auf Situationen reagieren kann“, sagt Kinderarzt Rupieper.