Berlin. Bei einer Großrazzia am Dienstag hat die Polizei massenweise Beweismittel beschlagnahmt. Sie sollen Einblicke in die linke Szene geben.
Sie müssen liefern. Stoff für Anklagen. Deswegen rücken am Morgen 583 Polizeibeamte aus, durchsuchen 23 Wohnungen und zwei
Auch interessant
in Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt sowie in Rheinland-Pfalz. Auch in Berlin durchsuchten die Ermittler eine Wohnung in Pankow. Den gesuchten 25-Jährigen trafen sie nicht an.
Fünf Monate nach den schweren Ausschreitungen während des G20-Gipfels gehen die Ermittlungen in die entscheidende Phase. Bei der Razzia am Dienstag wird es nicht bleiben. Vermutlich am 18. Dezember will die Polizei eine Öffentlichkeitsfahndung starten. Das macht sie gewöhnlich, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Jan Hieber, Leiter der Soko „Schwarzer Block“, spricht von „Ultima Ratio“.
Es geht vor allem um Ausschreitungen in einer Straße
Die Hamburger Einheit hat Zeit, Ressourcen und viel Manpower. 165 Mitarbeiter ermitteln in 3000 Verfahren. Obwohl der G20-Gipfel in der Hansestadt 149 Tage zurückliegt, haben die Amtsgerichte bisher nur 24 mutmaßliche Gewalttäter verurteilt, davon sieben zu Haftstrafen ohne Bewährung. Bisher hatte man vielfach Plünderer und Randalierer gefasst – am Dienstag holte die Polizei zum Schlag gegen militante Linksextremisten aus.
Die Durchsuchungen sollen im konkreten Fall helfen, die Ausschreitungen in einer bestimmten Straße – Rodenbarg – im Stadtteil Bahrenfeld aufzuklären. Es geht um 22 Beschuldigte, 20 von ihnen sind der Polizei einschlägig bekannt als politisch motivierte Gewalttäter.
Ermittler wollen in Kern der autonomen Szene vorstoßen
Insgesamt sind den Behörden gar 75 Täter namentlich bekannt. Gegen sie suchen sie Beweise. Hingegen ist die Identität von 26 Krawallmachern noch ungeklärt – deshalb die Planspiele für eine öffentliche Fahndung. Im Visier hatten die Beamten bei der Durchsuchung die linksextreme Gruppierung „Roter Aufbau“.
Der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer erklärte, es gelte, „Strukturen offenzulegen“. Es gehe darum, „näher an den Kern der autonomen Szene zu kommen“. Hier liegt das Problem: Die Autonomen schotten sich gut ab, kaum einer redet.
Warnungen vor der Razzia kursierten bereits im Internet
Die Szene hatte die Krawalle monatelang vorbereitet und war auf dem
G20-Gipfel planvoll vorgegangen, möglicherweise auch jetzt beim Verwischen von Spuren? Hieber antwortet, die Szene sei „unruhig“. Gerüchteweise heißt es, sie sei vorgewarnt worden. Wussten sie in Hamburg, Göttingen, Bonn, Köln, Stuttgart oder Neuwied von der Großrazzia? Ein Sprecher der Hamburger Polizei sagte der Berliner Morgenpost, dass erste Gerüchte auf Twitter bereits am Montag aufgetaucht seien. Darin wurde vor möglichen Durchsuchungen gewarnt.
Auch bei verschlüsselten Messengerdiensten wie Signal sei in der linksradikalen Szene vor der bevorstehenden Razzia gewarnt worden, hieß es. Darin wurde unter anderem geraten, alle Dinge im Zusammenhang mit G20 zu vernichten. Bei Einsätzen dieser Größenordnung bestehe immer die Gefahr, dass Information nach außen gelangen könnten, sagte Soko-Leiter Jan Hieber.
Verdächtige wollten wohl Beweismittel davonschaffen
Zumindest bei einer Durchsuchung hatten die Beamten tatsächlich den Eindruck, dass sie erwartet wurden. Die Polizei klopfte höflich an der Tür an und wurde genauso formvollendet hereingelassen. Die „sachliche Atmosphäre“ sei schnell „frostig“ geworden, „als die Kollegen nach dem Auto gefragt haben“, erzählte Hieber. Sie hätten kein Auto, lautete die erste Antwort.
Doch, doch, korrigierte die Polizei, und zwar auf einem anderen Namen zugelassen. Das Fahrzeug sei nicht da – es sei verliehen. Es stehe nur ein paar Straßen weiter geparkt, korrigierte die Polizei ein zweites Mal. „Wir haben dort alles gefunden, was wir dort finden wollten“, erzählte Hieber. Im Auto, nicht im Haus.
Hämmer, Baumsäge und Druckluftpistole beschlagnahmt
Insgesamt hat die Polizei am Dienstag 26 Laptops und Computer, 35 Handys und laut Soko-Chef Hieber so viele USB-Sticks beschlagnahmt, „die ich nicht zählen kann“. Die Auswertung des Materials dürfte sich Wochen hinziehen. Dazu stellte man eine Baumsäge, eine Druckluft-Pistole, Stahlkugeln, Sprays mit Reizgas, Hämmer, Feuerlöscher und Stahlseile sicher. Niemand wurde festgenommen. Das war auch nicht zu erwarten gewesen. Wenn die Justiz die Beschuldigten kennt, sie einen festen Wohnsitz haben und keine Fluchtgefahr besteht, sieht man zumeist von einer Untersuchungshaft ab.
Rückblick: 7. Juli, gegen 6.30 Uhr verlassen 150 bis 200 Leute in vier Gruppen das Camp am Volkspark in Altona. Sie sind mit unterschiedlichen Farben markiert, wählen verschiedene Ausgänge und Routen. Manche verhalten sich unauffällig. Bald wird sich der schwarze Block vermummen, die Verdächtigen ziehen sich Kapuzen über und tragen Sonnenbrillen, unterwegs reißen sie Pflastersteine und Zaunteile aus, zerstören Bodenplatten, es sind die späteren Wurfgeschosse. An vielen Stellen in Hamburg prallen Polizei und Randalierer zusammen. Hieber spricht von einem „gewalttätig handelnden Mob“. Ein Einsatzvideo zeigt, wie am Rodenbarg aus der Gruppe heraus Gegenstände in Richtung der Beamten geworfen werden; und umgekehrt, wie die Bundespolizisten zur Gegenattacke übergehen.
Es liegen massenhaft Videos und Fotos aus Überwachungskameras oder Smartphones vor. Die Aufnahmen sind ein entscheidender Vorteil. Mit der Razzia klopft die Polizei auf den Busch und setzt ein Signal: Wir kennen euch, wir lassen nicht locker. Den Beschuldigten droht jetzt eine Anklage wegen besonders schweren Landfriedensbruchs.
Einen Kommentar zum Thema lesen Sie hier: