Essen. . Im Dezember gelten strengere Gesetze für bestehende Spielhallen. Das drohende Aus versucht die Branche mit kuriosen Ideen zu verhindern.
Im Streit um Gesetzesverschärfungen fürs Glücksspiel versucht die Automatenbranche drohende Massenschließungen der Spielhallen abzuwenden: Der Deutsche Automaten-Verband mit Sitz in Köln spricht sich für die Einführung einer flächendeckenden, aber freiwilligen Sperrdatei für Spielsüchtige in NRW aus. Betroffene, die sich in solch einer Datei registrieren, würden fürs Zocken am Automaten blockiert. Nebeneffekt: Spielhallenbetreiber, die wegen schärferer Gesetze um ihre Betriebserlaubnis zittern, sollen nach dem Plan der Automatenwirtschaft durch die Teilnahme an dieser Sperrdatei ihre Chancen auf Fortbestand erhöhen können.
Um Spielsucht einzudämmen, sei eine freiwillige Sperrdatei wirkungsvoller, als reihenweise Spielhallen zu schließen. Davon ist Michael Eulgem, NRW-Vorsitzender des Automaten-Verbands, überzeugt. „Den Markt zu verknappen, wie es der Gesetzgeber jetzt plant, das hat noch nie geholfen“, so Eulgem. Bisher kam die Forderung nach einer Sperrdatei eher von der Gegenseite: Die Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht forderte sie wiederholt. Anders als die Branche drängt sie aber darauf, NRW-Spielhallen zur Teilnahme zu verpflichten. Vorbild ist Hessen, das solch eine Pflicht-Sperrdatei als erstes Bundesland 2014 eingeführt hat. Laut Landesstelle machen Spielsüchtige 60 bis 80 Prozent am Glücksspiel-Umsatz aus.
Spielhallen hatten fünfjährigen Bestandsschutz
Anlass für diesen Vorstoß liefert der neue Glücksspiel-Staatsvertrag, mit dem der Staat bundesweit die seit 2004 steigende Anzahl von Spielstätten und die Gefahr der Spielsucht eindämmen will. In NRW gilt der Staatsvertrag seit 2012. Eine neue Spielhalle darf seither nicht näher als 350 Meter Luftlinie von einer bestehenden eröffnen. Den gleichen Abstand muss sie zur nächstgelegenen Schule oder Kita einhalten. Untersagt sind zudem größere Automatenhallen, so genannte Mehrfachkonzessionen. Eine Konzession ist beschränkt auf zwölf Automaten.
Für bestehende Spielstätten hatte der Gesetzgeber eine fünfjährige Schonfrist festgelegt, die zum 1. Dezember endet. Dann greifen diese härteren Neuregeln auch für Altbestand. Das sorgt in der Branche für große Unruhe: Bis zu 70 Prozent der 4280 Konzessionen könnten laut Automaten-Verband kippen. Rund 22 000 Beschäftigte arbeiten in etwa 2500 Spielhallen oder zuliefernden Firmen.
Städte müssen 50-seitige Anträge prüfen
Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigt, dass mit der Automatenwirtschaft über die Einführung einer Sperrliste für Spielsüchtige diskutiert werden. „Das ist eine Option zur Bekämpfung des Spielsucht-Potenzials, die wir für erfolgversprechend halten“, so der Sprecher. Die Gespräche seien noch ergebnislos. Völlig offen sei daher auch, ob die Teilnahme an Sperrdateien für die Spielhallen – wie von der Branche erhofft – freiwillig oder – wie von Kritikern – gefordert verpflichtend sein müsse.
Unbeeindruckt davon kämpfen sich derzeit die Ordnungsämter in NRW durch Tausende Anträge zur Neuzulassung alter Spielhallen. Bis zu 50-seitige Anträge sind in langwierigen Verfahren und Anhörungen genau zu prüfen – denn Betreiber kündigen schon jetzt Klagen gegen jede Schließungen an.
Berlin hat die ersten 70 Automaten-Buden verboten
In Essen halten nach Rathaus-Angaben nur 16 der 141 Spielhallen den vorgeschrieben Mindestabstand zueinander ein – sie wurden genehmigt. Viele der übrigen Betreiber hofften, als Härtefälle anerkannt zu werden, um so fortzubestehen, sagte eine Sprecherin: „Sie versuchen geltend zu machen, dass sie größere Investitionen getätigt haben oder viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.“ Jeder Fall sei eine Ermessensentscheidung und werde mehrere Tage geprüft. Bis September müssen Ablehnungsbescheide verschickt sein.
Erste Erfahrungen mit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag hat Berlin gemacht. Berlin hatte vor sechs Jahren als erstes Bundesland ein Spielhallengesetz beschlossen, das deutschlandweit als strengstes gilt. Auf Grundlage der Neuregelungen hat die Senatsverwaltung 2017 bereits 70 der rund 500 Spielhallen eine neue Betriebserlaubnis verweigert; sie liegen zu nah an Schulen. Gegen alle entsprechenden Bescheide haben die Betreiber bereits Widerspruch eingelegt.
Um wie viel Geld es beim Glücksspiel geht, zeigen NRW-Zahlen des Arbeitskreises gegen Spielsucht: 2016 standen rund 61 000 Geldspielgeräte in Spielhallen und Gaststätten. Kunden haben allein in den Spielhallen über 1,3 Milliarden Euro verzockt. Von den Betrieben haben auch die Städten etwas: Die Spielstätten zahlen Abgaben an die Kommunen. Bochum etwa nimmt seit 2012 jedes Jahr zwischen 5,7 und 6,2 Millionen Euro Vergnügungssteuer für Geldspielgeräte ein.