Ruhrgebiet. . In mehreren NRW-Städten feiern Erdogan-Fans den Ausgang des Referendums mit Autokorsos. SPD-Politiker rät „Ja“-Sagern zur Reise in die Türkei.

Sie waren weniger als nach dem 2:0 über Tschechien bei der EM vor einem Jahr, aber sie jubelten, als sei schon wieder Fußball: Mit Autokorsos in Dortmund, Duisburg, Gelsenkirchen haben Erdogan-Anhänger dessen knappen Sieg beim Referendum in der Türkei gefeiert.

Nur war die Entscheidung hierzulande alles andere als knapp: Mit 63,1 Prozent haben die wahlberechtigten Türken in Deutschland für die Verfassungsänderung gestimmt; das ist fast eine Zweidrittel-Mehrheit. Im Ruhrgebiet, erfasst durch das Konsulat in Essen, lag die Zustimmung mit knapp 76 Prozent, also drei Vierteln, am höchsten.

Rund 200 Türken versammeln sich in Duisburg

„Was ist da falsch gelaufen mit der Integration?“, fragte am Tag danach nicht nur der Mülheimer Ratsherr Hasan Tuncer. Der Bochumer SPD-Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel sagte gar gegen die Autokorso-Fahrer, sie sollten doch ausreisen. Er sei allerdings fest davon überzeugt, dass die Erdogan-Anhänger dann nach einem halben Jahr „als geläuterte Demokraten wieder nach Deutschland zurückkehren“ wollen.

In mehreren Städten waren Erdogan-Fans am frühen Sonntagabend spontan auf die Straße gegangen. Aus Autos schwenkten sie rote Fahnen, drehten mit Frauen und Kindern Runden über den Dortmunder Borsigplatz. In Krefeld beklagten sich Bürger wegen der Hupkonzerte bei der Polizei. In den sozialen Netzwerken riefen viele Menschen den Jubelnden Wegbeschreibungen nach Istanbul und Ankara zu. In Duisburg-Hamborn versammelten sich rund 200 Türken, schwenkten mehrere Stunden lang türkische Fahnen und zündeten kleinere Böller.

Pöbeleien und Sprechchöre vor Gemeindehaus

Für die Polizei trotzdem „keine große Arbeit“: Die Veranstaltung, so ein Sprecher, sei „glimpflich“ verlaufen. „Die haben gefeiert wie bei der türkischen Fußballmannschaft“, sagte ein Sprecher in Dortmund, „alles ausgelassen, aber friedlich“. Das sahen auch die Kollegen in Remscheid so, die einen Autokorso „wie bei einem Fußballspiel“ behandelten.

Die Alevitische Gemeinde erlebte den „Korso“ indes weniger gelassen: Ein Internet-Video zeigt, wie sich jubelnde Türken vor dem Gemeindehaus versammeln, die Rede ist von Pöbeleien, Drohungen und „faschistischen Sprechchören“. Einer, der dabei war, schreibt bei Facebook: „Die Menschen, die sich zu dem Zeitpunkt im Verein befanden, hatten Angst um ihr Leben.“

NRW-Integrationsminister mahnt zur Besonnenheit

NRW-Integrationsminister Rainer Schmeltzer (SPD) versuchte zu beschwichtigen: „Auch die Türkeistämmigen in NRW haben Wochen voller hoch emotionaler Auseinandersetzungen hinter sich.“ Die Wahlbeteiligung sei in Deutschland mit knapp 50 Prozent deutlich niedriger als in der Türkei gewesen. Das betonte auch Serdar Yüksel: „30 Prozent der hier lebenden Türken sind für Erdogan und 70 Prozent nicht. . . Gottlob.“

Minister Schmeltzer mahnte zur Besonnenheit. Viele Menschen in NRW hätten „schlicht beim Referendum nicht mitgemacht“. Schon deshalb seien integrationspolitische Deutungen „unangebracht“. Die integrationspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion Serap Güler aber versuchte sich genau darin: „Das starke Abschneiden der Erdogan-Befürworter ist ein Zeichen dafür, dass sich das Land jahrelang integrationspolitisch zurückgelehnt hat“, wahlkämpfte sie. Der starke Rückhalt für Erdogan sei „ein Alarmsignal“.

Türkin beklagt: „Mit zweierlei Maß gemessen“

Ayshe Bal in Duisburg-Marxloh vernahm die Kritik am Abstimmungsverhalten ihrer Landsleute an Rhein und Ruhr achselzuckend. „Erdogan hat die Türkei zu dem gemacht, was das Land heute ist“, sagte die 29-Jährige. „Heute ist das Kopftuch erlaubt, man kann wählen, was man möchte, das Land ist erfolgreich.“ Nur werde in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen: „Das geplante neue türkische System ist vergleichbar mit dem US-amerikanischen. Und über die sagt niemand was.“

Serdar Yüksel hingegen fordert eine deutliche Reaktion der Bundesregierung, da die Türkei nun auch juristisch faktisch eine Diktatur sei, müsse die Bundesregierung „unmissverständlich klarmachen“, dass die Türkei nichts in der Europäischen Union zu suchen habe. Er fordert einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen und den Abzug der deutschen Bundeswehrsoldaten aus der Türkei. „Sollte tatsächlich auch die Todesstrafe eingeführt werden, so sind auch andere Mitgliedschaften wie die im Europarat und der NATO ebenfalls auf den Prüfstand zu stellen.“