Essen. Der Rhein-Ruhr Express kommt spät, aber er kommt. VRR-Chef Martin Husmann spricht im Interview über das milliardenschwere Verkehrsprojekt.

Noch sieht man von ihm weder Züge noch Waggons. Trotzdem tritt der Rhein-Ruhr-Express (RRX) schon jetzt mit dem hohen Anspruch an, ein Quantensprung zur Lösung der Verkehrsproblematik im Ruhrgebiet zu werden. Michael Kohlstadt sprach mit Martin Husmann, Vorstandssprecher des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR), über Chancen und Fallstricke des Milliarden-Projekts.

Welche Bedeutung hat der RRX für Nordrhein-Westfalen?

Husmann: Der RRX ist ein bedeutender Meilenstein für die Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen. Das Projekt hat zum Ziel, seit langem vorhandene Engpässe im NRW-Schienennetz zu beseitigen. Dazu zählen unter anderem der durchgängig sechsgleisige Ausbau der Strecke Düsseldorf - Duisburg, viele kleinere Maßnahmen zwischen Duisburg und Dortmund sowie die Ertüchtigung des Knotens Dortmund und des Kölner Bereichs. Dadurch wird das Netz wesentlich stabiler. Wenn alles gebaut ist, hat das Auswirkungen auf sämtliche Schienenverkehre, nicht nur auf den RRX. So wollen wir zu mehr Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit im regionalen Schienenverkehr kommen.

Martin Husmann, Vorstandssprecher des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR).
Martin Husmann, Vorstandssprecher des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR).

Selbst die Deutsche Bahn räumt ein, dass der Schienenverkehr in NRW viele Jahre vernachlässigt wurde. Kommt der RRX zehn Jahre zu spät?

Sinnvoll wäre sicher gewesen, wenn der Bund schon vor 30 Jahren in der gesamten Bundesrepublik damit begonnen hätte, Engpassstellen zu beseitigen, statt immer nur Leuchtturmprojekte zu verwirklichen. Dann wäre das Gesamtnetz schon heute leistungsfähiger. Immerhin: Jetzt gibt der Bund 2,65 Milliarden Euro für den RRX-Ausbau.

Wann können wir mit den Segnungen des RRX für den Regionalverkehr rechnen?

Die Fahrzeuge sind ja bereits im Bau. Sie werden ab Winter 2018 nach und nach auf den Regionalexpress-Linien zum Einsatz kommen. Niemand kann aber genau sagen, wann der Gleisausbau beendet ist. Im Idealfall kann man von 2030 ausgehen, auch wenn das noch lange hin ist.

Besser spät als nie. Viele Fahrgäste werden dennoch enttäuscht sein.

So zu tun, als hätten wir den RRX schon morgen, würde zu noch mehr Enttäuschung führen. Im schlimmsten Fall muss man sich sogar auf einen Endausbau über 2030 hinaus einstellen.

Warum?

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Es gibt insgesamt 14 Planfeststellungsverfahren entlang der Strecke. Manche werden relativ schnell abgearbeitet sein, insbesondere die Maßnahmen zwischen Duisburg und Dortmund. Kopfzerbrechen bereitet mir der Gleisausbau von Düsseldorf nach Duisburg. Mit der dort sehr aktiven Bürgerinitiative muss in Sachen Lärmschutz eine für beide Seiten akzeptable Lösung gefunden werden. Sollte das nicht gelingen, müssen wir uns auf ein juristisches Tauziehen einrichten, das dann bis zu zehn Jahre dauern könnte.

Das klingt ernüchternd.

Tatsache ist: Jede Ergänzung im Streckennetz, jede neue Weiche ist ein Fortschritt gegenüber dem Ist-Zustand und wird bereits zu einer beträchtlichen Stabilisierung des Fahrplans führen. Zusätzliche Weichen sorgen etwa dafür, dass Züge besser ausweichen können.

Weshalb bekommt der RRX kein eigenes Gleis im Ruhrgebiet?

Das beste wäre, wenn jede Verkehrsart ihr eigenes Gleis hätte: Regionalverkehr, Fernzüge, Güterverkehr. Unser Netz hier ist aber derart eng, dass wir mit Mischverkehr einfach leben müssen. Ein eigenes Gleis für den RRX zwischen Duisburg und Dortmund wird es also nicht geben. Es gibt nicht genügend Platz zu beiden Seiten der Strecke. Mit den geplanten Maßnahmen ist das höhere Zugaufkommen durch den RRX aber darstellbar. Sonst hätten wir keine Genehmigung für das Projekt erhalten.

Was bringen die neuen RRX-Züge, die von Siemens gebaut und gewartet werden?

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Auf unserer nachfragestärksten Linie RE 1 haben wir heute in den Spitzenzeiten bis zu 1100 Fahrgäste in einem Zug, obwohl der Zug nur maximal 720 Sitzplätze hat. Da stehen dann mehr als 300 Menschen in den Waggons, das ist keine reine Freude. Wir können die Züge aber auch nicht einfach verlängern, weil die Bahnsteige nicht lang genug sind. Im RRX haben wir immerhin 800 Sitzplätze. Auch auf Linien, die heute mit nur 600 Plätzen fahren, werden wir künftig die größeren RRX-Wagen einsetzen. Insgesamt also eine deutliche Platzausweitung. Zusätzlich verlängern wir mit DB Station & Service alle Bahnsteige auf 215 Meter.

Verknüpfen Sie mit dem RRX die Hoffnung auf ein Ende der Kleinstaaterei im Nahverkehr des Ruhrgebiets?

Für ein funktionierendes Verkehrssystem sind vernünftige Übergänge vorrangig. Das hat erstmal mit der Anzahl der Unternehmen wenig zu tun und kann auch bei vielen Un­ternehmen gleichzeitig gelingen. Unter einem vernünftigen Übergang verstehe ich: Der Schienenverkehr bildet das Rückgrat der Region, der örtliche Nahverkehr muss sich als Zubringer zum Bahnhof danach ausrichten und Umsteigezeiten von etwa zehn Minuten einberechnen, damit auch die nicht mehr ganz so schnelle Rentnerin noch ihren Zug erwischt.

Soll der gesamte ÖPNV im Revier in einer Hand liegen?

Ein großes Unternehmen für so eine große Region wäre nicht klug. Wettbewerb schadet nicht. Sich un­tereinander messen zu müssen, ist gar nicht schlecht. Große Unternehmen neigen zu Unbeweglichkeit, siehe die Deutsche Bahn. Ob man allerdings so viele Nahverkehrsunternehmen im Ruhrgebiet braucht, darüber könnte man mal nachdenken. Es gibt ja bereits Schritte in die richtige Richtung, etwa die Einkaufskooperationen bei Fahrzeugen oder Rolltreppen. Man sollte die Region aber wie eine Stadt betrachten und die Nahverkehrspläne nicht an den Stadtgrenzen enden lassen, wie es heute immer noch geschieht. Es kann nicht sein, dass die Straßenbahn 200 Meter vor der Stadtgrenze hält und der Bus auf der anderen Seite ebenfalls erst nach 200 Metern losfährt. So etwas darf es eigentlich nicht geben.