Essen. . Die Zahl freiberuflicher Hebammen geht seit Jahren zurück, sie fürchten um ihren Berufsstand. Grund ist die stetig steigende Haftpflichtprämie.
Als Verena von Doetinchem begann, Kindern auf die Welt zu helfen, musste sie knapp 1600 Euro im Jahr für ihre berufliche Haftpflichtversicherung zahlen. Für die damals 25-Jährige war schon das eine große Summe. Bis heute, nicht einmal zehn Jahre später, hat sich die Prämie für Hebammen mehr als vervierfacht. Und zum 1. Juli dieses Jahres wird sie erneut angehoben, auf 7639 Euro.
Von Doetinchem ist Hebamme in einer Praxis in Mülheim-Saarn. Jede Erhöhung stellt die 34-Jährige vor die Frage, ob sie weitermachen soll. „Die Grenze wurde schon zig Mal überschritten“, sagt sie, „aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen müsste man sich von der Geburtshilfe verabschieden.“
Immer weniger Möglichkeiten, außerhalb des Krankenhauses zu entbinden
Knapp 20.000 Mitglieder hat der Deutsche Hebammenverband, dem die meisten Hebammen in Deutschland angehören. Doch nur rund ein Achtel von ihnen ist freiberuflich in der Geburtshilfe tätig – seit Jahren geht ihr Anteil zurück. Die Mehrheit arbeitet ausschließlich in der Vor- und Nachsorge.
Das führt dazu, dass Frauen immer weniger Möglichkeiten haben, in Geburtshäusern oder zu Hause zu entbinden. „Für Frauen und Hebammen ist das gleichermaßen schrecklich“, sagt NRW-Verbandsvorsitzende Barbara Blomeier. „Wir fürchten um den Berufsstand.“ Auch auf die Krankenhäuser wirkt sich die sinkende Zahl der freien Hebammen aus. Denn viele Kliniken haben ihren angestellten Geburtshelferinnen aus Kostengründen gekündigt und sie anschließend freiberuflich weiterbeschäftigt. Hinzu kommt, dass es in den vergangenen 25 Jahren laut Statistischem Bundesamt eine regelrechte Schließungswelle bei Kreißsälen gab. Seit 1991 sank die Zahl der Geburtsstationen bundesweit von 1186 auf 709 im Jahr 2015, in NRW um 41 Prozent.
Geburtshaus muss täglich Frauen abweisen
Neben der finanziellen Belastung ist es die Kurzlebigkeit der Versicherungsverträge, die den Job erschwert. Die neuen Verträge laufen eineinhalb Jahre – danach drohen wieder Beitragserhöhungen und schlechtere Konditionen. Andrea Allen kritisiert vor allem diese Unsicherheiten. Sie leitet das Geburtshaus in Essen. Fünf Hebammen haben dort im vergangenen Jahr 111 Geburten begleitet und fast 200 weiteren Frauen Vor- und Nachsorge angeboten.
Sie betont, wie wichtig die Arbeit der Geburtshelferinnen ist: „Wer einmal mit einer Hebamme entbunden hat, wird das wieder wollen.“ Und trotzdem gehörten sie einem Berufsstand an, der weder gut bezahlt noch von der Politik wertgeschätzt würde. Und der viele Opfer mit sich bringt.
Ein Beruf in Dauerbereitschaft
Hebammen sind in Dauerbereitschaft. Ihr Handy ist bei jedem Abendessen, jedem Kinobesuch dabei, es liegt auf dem Nachttisch, neben der Badewanne. „Beruf und Berufung liegen hier nah beieinander“, sagt Allen, „man muss viel Idealismus mitbringen.“ Sie wünscht sich von der Politik mehr Unterstützung, denn „Kinderkriegen kann man nicht als reine Profitsache betrachten“.
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Zwar können sich Hebammen, die mindestens vier Geburten im Jahr betreut haben, einen Versicherungszuschlag von ihrer Krankenkasse holen. Das sind derzeit bis zu 4888 Euro. Der Hebammenverband allerdings kritisiert bürokratische Hürden.
Hebammenverband fordert Haftungsfonds
„Die Beantragung ist ein großes Wirrwarr“, sagt NRW-Vorsitzende Barbara Blomeier, „die Kollegen müssen sehr lange auf ihr Geld warten.“ Der Verband fordert einen durch Bund, Länder und Kassen gespeisten Haftungsfonds, der die hohen Ausgaben bei großen Schadensfällen abfedern soll. Deren Zahl stagniert zwar seit langem.
Allerdings sind die Fallkosten stark gestiegen. Das liegt laut Blomeier an der Berechnungspraxis der Gerichte: Akademikerfamilien würden zunehmend höhere Entschädigungen für verpasste Karrierechancen des geschädigten Kindes zugesprochen.
Derzeit werden die hohen Kosten von allen Geburtshelferinnen getragen. Auch wenn der Sicherstellungszuschlag ab Juli prozentual angepasst werden soll, wird für Verena von Doetinchem mit der erneuten Erhöhung die Grenze des Machbaren überschritten. Trotzdem steht für sie fest: „Ich kann die Frauen, die unbedingt mit mir entbinden wollen, doch nicht einfach ins Krankenhaus schicken.“
>> Entwicklung der Haftpflichtprämie
1981 lag die Haftpflichtprämie für Hebammen bei 60 D-Mark pro Jahr. Seit dem Jahr 2000 ist sie von 413 auf derzeit 6843 Euro gestiegen.
Der deutsche Hebammenverband versichert seine Mitglieder über eine Gruppenhaftpflicht.
Für eine Geburt im Krankenhaus bekommt eine freiberufliche Hebamme 272 Euro, für eine Hausgeburt 546 Euro.