Ruhrgebiet.. Lobbyverbände, Moscheevereine und Medien verbreiten die Botschaft des türkischen Präsidenten. Politiker sprechen von Kampagnen gegen Kritiker. Sorge vor wachsender Spaltung der Bevölkerung
Noch bevor die meisten deutschen Fernsehsender Bilder des Militärputsches in der Türkei gezeigt haben, klingelten Mobiltelefone in NRW. Viele Türken und türkeistämmige Deutsche im Ruhrgebiet erhielten Textnachrichten wie etwa diese: „Nimm dir eine Fahne in die Hand, setz dich ein für dein Land.“ Konkrete Treffpunkte für Demonstrationen erreichten Tausende Menschen über Telefonlisten und WhatsApp-Gruppen.
Allein im Ruhrgebiet mobilisierten Erdogan-Anhänger so innerhalb kürzester Zeit mehr als 8000 Menschen, die in Essen, Duisburg, Bochum und Hamm auf die Straße gingen. Zumeist friedlich – nur in Gelsenkirchen kam es am Tag nach dem Putsch zum Handgemenge mit Kritikern.
Große Rückhalt im Ruhrgebiet
„Was wir hier erlebt haben ist eine Mobilisierung der Erdogan-Anhänger, die in Deutschland genauso rasch abläuft und funktioniert wie in der Türkei“, sagt Prof. Halil Uslucan, Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen. In der Vergangenheit habe sich immer wieder gezeigt, wie stark Vorgänge in der Türkei auch die Türken hierzulande bewegen. Dortige Konflikte würden meist auch hier ausgetragen – etwa der Kurdenkonflikt. Übergriffe wie jetzt in Gelsenkirchen zeigten dabei, dass Erdogan-Anhänger die politische Deutung der Vorgänge restlos übernommen hätten, nach der die Bewegung um Fethullah Gülen, Erdogans erklärter Erzfeind, den Militärputsch angezettelt habe.
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Im Ruhrgebiet sei der Rückhalt für die Erdogan-Regierung enorm, ergaben Studien des Zentrums. Die Zustimmung erreiche bei Wahlen je nach Kommune bis zu 70 Prozent. „Bei den Türken und Türkeistämmigen handelt es sich um eine weitgehend konservative Bevölkerung.“, sagt Uslucan. Die Türkei sei für die Identität dieser Menschen wichtig, und Erdogan verkörpere eine starke Türkei. Diskriminierungserfahrungen würden das noch verstärken.
Kampagnen gegen Kritiker
Anhänger Erdogans stehen auch in Deutschland seinen Kritikern gegenüber: Kurden vor allem, Künstler, Linke und Intellektuelle, die nach dem Militärputsch von 1980 als Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Der Integrationsexperte Ahmet Toprak von der Fachhochschule Dortmund befürchtet, dass sich der Graben zwischen diesen liberalen Kräften und den konservativen Erdogan-Anhängern weiter vertiefen werde. Erdogan-Kritiker verhielten sich derzeit sehr ruhig, „man muss aufpassen, was man sagt, sonst bekommt man Hassmails“, meint Toprak.
„Es gibt regelrechte Kampagnen gegen Erdogan-Gegner in Deutschland“, beobachtete auch Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Linken aus Bochum. „Der Einfluss Erdogans auf die türkeistämmigen Bürger in NRW ist beständig gewachsen.“ Aus ihrer Sicht liege das am Einfluss der türkischen Medien, die von der Regierungspartei AKP kontrolliert würden sowie an der Wirkung vieler Moscheevereine, die dem Ditib-Verband unterstehen. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Cemile Giousouf aus Hagen forderte die türkischen Bürger auf, jetzt „im Sinne der Türkei klare Kante gegen die antidemokratischen Tendenzen der Regierung zu zeigen“.
Einfluss der Lobbyverbände und Moscheen
Der Ditib-Dachverband vertritt in Deutschland insgesamt rund 900 Moscheegemeinden. Er entsendet jedes Jahr zahlreiche Imame aus der Türkei nach Deutschland, die türkische Behörde hinter dem Dachverband verfügt über eine Jahresbudget von 1,8 Milliarden Euro. Als stärkster Lobbyverband Erdogans wird indes die „Union Türkisch-Europäischer Demokraten“ (UETD) bezeichnet, die ihre europäischen Hauptsitz in Köln hat. Sie gilt als die wirkungsvollste Vertretung der türkischen Regierungspartei AKP im Ausland. Die Union organisiert Wahlkampfveranstaltungen für Erdogan mit Zehntausenden Landsleuten in Köln oder Düsseldorf und ist so gut vernetzt, dass sie innerhalb von Stunden Massen mobiliseren kann.
Wie eng Religion und Politik beieinander liegen, wurde in diesen Tagen etwa in Duisburg deutlich: Bilder von der Freitags-Demonstration vor der Merkez Moschee zeigen den Religionsattaché des Düsseldorfer Generalkonsulats, wie er in ein Megafon spricht und zum Protest aufruft. Ramazan Ilikkan ist nicht nur Beschäftigter einer staatlichen Vertretung der Türkischen Republik, sondern auch Mitglied im Vorstand des Ditib-Dachverbandes.
„Der Blick geht immer in die Türkei“
Dass Organisationen wie Ditib und UETD die Belange der türkischen Regierung nach Deutschland tragen, birgt aus Sicht mancher Politiker weitere Probleme: Viele Türken wendeten sich immer mehr von hiesigen Themen ab, was sich auch in Städten und Gemeinden bemerkbar mache. Lokalpolitiker berichten, sie hätten wachsende Probleme, türkeistämmige Einwohner für ihre Arbeit zu gewinnen. „Sie schielen immer mit einem Auge in die Türkei“, sagt Saadettin Tüzün, CDU-Ratsherr aus Oberhausen. Er habe Sorge, dass sich die hiesige türkische Gemeinde noch stärker spalte: „Bei Erdogan gibt es eigentlich nur Pro oder Kontra.“