Düsseldorf. Ministerpräsidentin Kraft räumt im U-Ausschuss zur Kölner Silvesternacht Fehler ein - und muss miterleben, wie die Opposition ihr Image als „Kümmerin“ ramponiert.
- Vor dem Untersuchungsausschuss räumte Kraft "kommunikative Fehler" ein.
- Zudem kritisierte sie die damalige Führung der Kölner Polizei.
- Der Opposition ist das nicht genug. Sie wirft Kraft vor, den wesentlichen Fragen auszuweichen.
So tief will sie dann doch nicht sinken. Als Hannelore Kraft am Freitagmorgen im Landtag auf dem Zeugenstuhl des Untersuchungsausschusses zur Kölner Silvesternacht Platz nimmt, springt sie schnell wieder auf und bahnt sich einen Weg durch den Belagerungsring aus Fotografen. Die Ministerpräsidentin holt sich eine gepolsterte Sitzerhöhung.
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69 Zeugen hat der Untersuchungsausschuss in den vergangenen Monaten vernommen, doch diese Befragung von „Hannelore Kraft, 55 Jahre alt, Dienstort Düsseldorf“ ist das eigentliche Ziel der Opposition. Kraft hatte erst am 4. Januar Notiz genommen von den massenhaften sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht. Nur sehr zögerlich fand sie Worte. Ihr Image als „Kümmerin“ hat gelitten. Wie konnten die Exzesse geschehen? Warum herrschte tagelang Funkstille in der Landesregierung? Der Untersuchungsausschuss als sicherheitspolitisches Tribunal über die Regierungsarbeit drängte Rot-Grün schon weit in die Defensive. Und nun die Vernehmung der Chefin zehn Monate vor der Landtagswahl.
Kraft entschuldigt sich bei den Opfern der Übergriffe
Kraft betritt bereits 50 Minuten vor dem Aussagetermin den Landtag. Sie trägt einen rosa Blazer und ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Sie ist ja heute Zeugin, keine Angeklagte. Die SPD-Politikerin wendet sich zunächst an die Opfer der Übergriffe auf dem Domvorplatz. Sie bedauere die Vorfälle zutiefst und wolle sich bei den Frauen entschuldigen: „Als Frau kann ich mich in die Opfer einfühlen.“
Erstmals räumt sie klipp und klar Versäumnisse ein. Es sei ein „kommunikativer Fehler“ gewesen, sich nicht früher und umfassender gegenüber den Medien zu den Kölner Ereignissen geäußert zu haben. Sie hatte sich erst am 5. Januar und dann nur in einer in kurzen schriftlichen Stellungnahme eingelassen. „Es hat sich gezeigt, dass ein schriftliches Statement in dieser Lage nicht ausreichend war“, sagt Kraft.
Von der seit Monaten vorgetragenen Verteidigungslinie der Landesregierung lässt sich die Ministerpräsidentin jedoch nicht abbringen. Erstens: Trotz früh übermittelter vertraulicher Polizeimeldungen und breiter Online-Berichterstattung in den Kölner Medien sei die Dimension der Ereignisse vor dem 4. Januar für ihre Mitarbeiter nicht zu erkennen gewesen. Zweitens: Die urlaubende Kraft selbst hat vor dem Nachmittag des 4. Januar mit niemandem aus der Regierung kommuniziert. „Warum hätte ich was verschweigen sollen? Es wurde und wird nichts unter den Teppich gekehrt", beschwört die Regierungschefin immer wieder die Landtagsabgeordneten.
Opposition will Kraft als „Landesmutter a.D.“ bloßstellen
Die Fragen von CDU und FDP zielen kaum kaschiert darauf, Kraft als „Landesmutter a.D.“ bloßzustellen. Kraft muss einräumen, dass sie im vergangenen halben Jahr nur eine von Hunderten überfallener Frauen persönlich gesprochen hat – am 11. Januar am Rande einer Talkshow. „Notwendig für solche Gespräche“ mit Opfern von sexueller Gewalt sei eine spezielle Ausbildung, redet sie sich raus.
Ihre Wucht entfaltet die Zeugenvernehmung nicht durch den Erkenntnisgewinn, sondern durch das „politische Schauspiel in einer Vorwahlphase“, wie es Kraft später säuerlich nennt. Die Ministerpräsidentin muss etwa darlegen, wann sie in der ersten Januar-Woche beim Arzt war und wann in der Staatskanzlei. Sie muss einräumen, dass sie ihren Twitter-Account nicht selbst pflegt. Sie muss erklären, warum sie ihren Mitarbeitern keine Neujahrsgrüße per SMS sendet, sondern zu Weihnachten handschriftlich „einen wertschätzenden Brief“ verfasst. Sie muss über ihre üblichen Redenotizen Auskunft geben, „ein Durcheinander auf solchen Zetteln“.
Krafts Stimmungslage schwankt zwischen schmalllippig und ironisch
Krafts Stimmungslage schwankt während der Vernehmung. Mal ringt sie um Fassung: „Ich werde das sagen, was der Wahrheit entspricht und nicht, was sie gerne hören möchten.“ Mal verweist sie schmallippig auf ihre fehlende Zuständigkeit. Mal flüchtet sie in Ironie: Ob sie zum Anstoß des EM-Viertelfinales um 21 Uhr wohl fertig seien.
In diesem Ausschuss wird nicht weniger als Krafts Glaubwürdigkeit verhandelt. Sie hat sich früh festgelegt, dass sie vor einem Telefonat mit Innenminister Ralf Jäger (SPD) am 4. Januar um 13.41 Uhr mit niemandem aus der Regierung über die Silvesterereignisse gesprochen hat. Um Zweifel an dieser Version zu zerstreuen, hatte die Regierungschefin Ende Mai sogar in einer Eidesstattlichen Erklärung untermauert, das es "keine persönlichen, telefonischen oder sonstigen Kontakte" zwischen ihr und ihren wichtigsten Mitarbeitern gegeben habe.
Damit wollte sie allen Spekulationen ein Ende setzen. Doch auch das war noch nicht der Schlusspunkt. Nur Tage später bot sie den Obleuten des Untersuchungsausschusses an, ihre Telefonverbindungsdaten zwischen dem 31.12 und dem 4.1. in einem „geschützten Raum“ einzusehen. „Wenn man schon den Worten einer Ministerpräsidentin keinen Glauben schenkt“, hatte sie als Begründung genannt. Und nun muss sie im Zeugenstand wieder und wieder darlegen, wann sie warum mit wem telefoniert hat. Kraft, die Nordrhein-Westfalen noch vor zwei Jahren unangefochten regierte, wirkt wie eine Getriebene. „Köln“ ist seit Monaten zur Folie geworden für alles, was schief läuft im Land: Nullwachstum, Einbruchskriminalität, Dauerstau, Unterrichtsausfall. Kraft auf dem Zeugenstuhl ist das Bild zu dieser Oppositionserzählung.
Wenn die Ministerpräsidentin zu unverblümt angegangen wird, heulen einzelne Abgeordnete ihrer SPD-Fraktion empört auf, beschweren sich beim Ausschussvorsitzenden oder rufen hektisch dazwischen. Es wirkt hilflos. Nach knapp drei Stunden hat Kraft es geschafft.