Düsseldorf. . Einsatzleiter sagt im U-Ausschuss des Landtags aus: „Es hätte Tote geben können“. Offenbar waren zu wenige Polizisten auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz.
Die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht waren offenbar noch deutlich gefährlicher als bisher dargestellt und hätten aus Sicht des Einsatzleiters der Polizei-Hundertschaft auf dem Bahnhofsvorplatz „zu Toten führen können“. Mehrere Hundert junge Männer mit nordafrikanischem oder arabischem Aussehen hätten sich stark alkoholisiert und total enthemmt aufgeführt, sagte Einsatzleiter Thorsten Meyer im Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags.
Auch interessant
Unterdessen erhebt die Polizei massive Vorwürfe gegen Politik und Justiz. Der Landtagsausschuss debattiere dauernd über Polizeiversagen, kritisierte der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert. Wichtig wäre es aber, auch politisches und juristisches Versagen in den Blick zu nehmen. „Es war die Politik, die dafür gesorgt hat, dass die Polizei selbst Serientäter immer wieder laufen lassen muss, weil ihre Taten als Jugenddelikte verharmlost werden.“
Bislang seien die Urteile gegen die Sex-Mob-Täter fast durchgängig zu milde ausgefallen, so Plickert. „Wenn wir ein zweites Köln verhindern wollten, brauchen wir nicht nur andere Gesetze, sondern auch eine andere Rechtsprechung, die das Leid der Opfer stärker in den Blick nimmt.“
Täter reagierten nicht auf Polizeiansprache
Thorsten Meyer, Einsatzleiter der Kölner Polizei, zeichnete am Montag im Landtag ein düsteres Bild von der Ereignissen auf dem Bahnhofsvorplatz in der Silvesternacht. Als Meyer gegen 22.45 Uhr auf den Platz kam, traf ihn nach eigenen Angaben „der Schlag“. Unter Gejohle sei Pyrotechnik auf Personen geschossen worden. Auch auf Polizeiansprachen hätten einzelne Täter kein Unrechtsbewusstsein gezeigt. Da die Lage immer problematischer wurde, ließ Meyer den Platz teilweise mit „einfacher körperlicher Gewalt“ bis 0.15 Uhr räumen.
Von den zahlreichen sexuellen Übergriffen, Diebstählen und Raubdelikten will der Einsatzleiter erst nach Mitternacht erfahren haben. Lediglich von einer Vergewaltigung hörte Meyer im Polizeifunk. Im Polizeiprotokoll war später aber von „unzähligen Sexualdelikten“ die Rede. Auch einer Polizistin sei um 0.30 Uhr „ans Gesäß gefasst worden“, teilte Meyer mit. Da gleichzeitig ein Raubdelikt begangen wurde, sei der Täter in Untersuchungshaft genommen worden. „Es bestand insgesamt Gefahr für Leib und Leben“, sagte Meyer. Der Einsatzleiter räumte ein, dass vor der Räumung nur 38 Polizeibeamte auf dem Bahnhofsvorplatz Dienst schoben. Bei der Räumung wurde die Präsenz zwar erhöht – von den bisher genannten rund 140 Beamten war die Polizeistärke aber weit entfernt.
Zahl der Anzeigen steigt noch immer
„Mehr Polizeikräfte hätten ein Einschreiten einfacher gemacht“, räumte Meyer im Nachhinein ein. Das Vorgehen der Einsatzkräfte sollte aber so konsequent wie nötig und so dosiert wie möglich sein. Die CDU-Innenexpertin Ina Scharrenbach resümierte, dass „das dosierte Vorgehen offenbar nicht ausgereicht“ habe. Erst gegen 2.30 Uhr hatte sich die Lage auf dem Bahnhofsvorplatz beruhigt. Einsatzende war gegen 5 Uhr.
Auch interessant
Im Laufe der nächsten Tage hatte es Hunderte Anzeigen wegen sexueller Übergriffe, Raubdelikte und Taschendiebstähle in der Kölner Silvesternacht gegeben. Einsatzleiter Thorsten Meyer war nach eigenen Angaben nicht bekannt, dass Beamte während der Räumung auf sexuelle Übergriffe angesprochen wurden. Aber er habe schon vor 23 Uhr das Gefühl gehabt, „das ist hier richtig gefährlich“.
Fast fünf Monate nach Silvester zeigen immer noch viele Frauen an, dass sie am Kölner Hauptbahnhof drangsaliert, ausgeraubt oder sexuell belästigt worden seien. Bis zum Ende vergangener Woche kletterte die Zahl der Strafanzeigen in der Domstadt auf 1171 - davon 491 wegen sexueller Übergriffe. Wie die Kölner Staatsanwaltschaft berichtete, laufen gegen 159 Beschuldigte Ermittlungsverfahren, davon gegen 36 wegen Sexualdelikten. Elf Männer wurden bislang in Köln wegen Diebstahls, Hehlerei oder ähnlichen Straftaten verurteilt, aber noch keiner wegen eines Sexualdelikts. Zehn Beschuldigte sitzen derzeit in Untersuchungshaft. Fast zwei Drittel der Tatverdächtigen stammen aus Algerien oder Marokko. (mit dpa)