Essen. Verliert das Ruhrgebiet tatsächlich den Anschluss? Rasmus C. Beck, Chef der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr, erzählt lieber eine Erfolgsstory.

Wirtschaftskraft, Arbeitsmarkt, Lebensqualität: Fällt das Ruhrgebiet auf diesen Gebieten immer weiter zurück, wie uns Studien glauben machen wollen? Gegen belastbare Daten kann auch Rasmus C. Beck nicht argumentieren. Im Gespräch mit Michael Kohlstadt versucht der Chef der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr aber, den Revier-Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Laut jüngsten Wirtschaftsdaten ­eilen andere Regionen dem Ruhrgebiet davon. Hat das Revier den Anschluss verpasst?

Beck: Das Ruhrgebiet hat einen langen Weg hinter sich. Anders als andere vergleichbare Regionen in der Welt haben die Menschen an der Ruhr aber etwas Erstaunliches geschafft. Hier wurde der Strukturwandel vollzogen, ohne den ­vorhandenen industriellen Kern vollständig zu zerschlagen. Hohe Lebensqualität und eine starke ­industrielle Basis: Das ist unsere Erfolgsstory, für die wir in aller Welt bewundert werden. Fragen Sie die Chinesen!

Die Schlusslicht-Debatte können Sie damit nicht beenden. Irren all die Wirtschafts- und Image­forscher, die dem Revier schlechte Noten geben?

Beck: Ich unterstelle den Experten, die solche Studien erstellen, keineswegs, dass sie ihr Handwerk nicht beherrschen oder die Datensätze falsch sind. Aber es fällt schon auf, dass in solchen Rankings harte volkswirtschaftliche Faktoren wie die Bruttowertschöpfung oder die Erwerbstätigenzahl in den Hintergrund geraten und zunehmend weichere Kriterien wie die demographische Entwicklung oder die Ärztedichte im Fokus stehen. Doch gerade bei den harten Fakten sind wir nicht schlecht.

Nennen Sie bitte drei Beispiele.

Beck: Es gibt rund 160.000 Unter­nehmen an der Ruhr, die einen ­Jahresumsatz von insgesamt 330 Milliarden Euro erwirtschaften – das ist mehr als Berlin und Sachsen zusammen. Die Kaufkraft im Revier liegt mit 18.800 Euro pro Kopf höher als die in Berlin. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs ist seit 2010 revierweit um mehr als 94.000 gewachsen.

Im jüngsten Städteranking landen gleich fünf Revierstädte am Ende der Skala. Kommunen wie Ingolstadt rangieren weit vorn. Was ­machen die besser?

Beck: Mit über fünf Millionen Einwohnern ist das Ruhrgebiet einfach eine andere Hausnummer. Standorte mit deutlich weniger Bevöl­kerung schneiden in solchen ­Erhebungen auch deshalb besser ab, weil sie sich viel schneller neu sortieren können, weil sie überschaubarer sind und Veränderungen schneller herbeiführen können. Und dass eine Region wie ­Ingolstadt so gut wegkommt, liegt doch auf der Hand – eine Stadt von 110.000 Einwohnern mit der ­Konzernzentrale von Audi und ­vielen Zulieferern mittendrin. Da hat man’s leichter.

Auch ostdeutsche Regionen ­scheinen das Revier abzuhängen...

Beck: In Ostdeutschland hat man nach der Wende vielfach die Reset-Taste gedrückt und vollkommen neue Unternehmen angesiedelt. Das ­Revier dagegen hat es geschafft, auf alten Strukturen neue aufzubauen. Da ist man langsamer, aber wir ­entwickeln uns seit Jahren positiv.

Die armen Revierstädte verprellen Bürger und Unternehmen mit immer höheren Steuern und Abgaben. Wäre es nicht klug, das genaue Gegenteil zu tun?

Beck: Eine flächendeckende Angleichung der Gewerbesteuer auf niedrigerem Niveau etwa wäre ein gutes Signal. Man sollte auch bedenken, dass eine Erhöhung der Gewerbesteuer nicht gleichbedeutend ist mit höheren Einnahmen. Denn die Erträge aus den Gewerbesteuern sind abhängig davon, wie gut oder schlecht es einem Unternehmen geht. Wichtig ist es aber zu verdeutlichen, wofür die Städte das Geld einsetzen. Wandert es in die Infrastruktur, etwa in den Straßenbau, ist die Akzeptanz gegenüber dieser Steuer höher.

Die Forderung ist nicht neu. Aber noch einmal die Frage: Brauchen wir einen Ruhr-Soli?

Beck: Das Ruhrgebiet muss nicht von außen gerettet werden. Aber es sollte die Möglichkeit haben, seine Ressourcen besser für die eigene Entwicklung einzusetzen. Allein Gelsenkirchen hat 240 Millionen Euro in den Aufbau Ost gesteckt. Das Geld fehlt natürlich jetzt in der Stadt. In diesem Fall zeigt das Ranking, dass ostdeutsche Städte das Geld flächendeckend vielleicht gar nicht mehr so nötig haben.

Die Wirtschaftsforscher bemängeln besonders die unzureichende Verzahnung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft im Revier. Dabei sind die Hochschulen doch der ganze Stolz des Reviers!

Beck: Unsere Hochschullandschaft ist vergleichsweise jung. Die Ruhruni Bochum wurde vor gerade einmal 50 Jahren gegründet. Und die Unis und Fachhochschulen im Revier sind ja nicht zuallererst geschaffen worden, damit sich Wissenschaft mit Wirtschaft paart. Sie sollten ein Bildungsangebot in eine Region bringen, das es dort vorher nicht gab. Das ist gelungen. Heute haben wir die dichteste Hochschullandschaft der Republik: 280 000 ­Studierende an 21 Hochschulen. Zum Beispiel haben wir im Technologiepark Dortmund auch ­gezeigt, wie die Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft zu neuen Unternehmen und Jobs ­führen kann. Da müssen wir in der gesamten Region weitermachen.

Beschäftigt sich das Ruhrgebiet zu viel mit sich selbst?

Beck: Eindeutig: Ja. Die Probleme im Ruhrgebiet haben andere Metropolregionen dieser Größenordnungen doch auch. Wir sind viel kritischer mit uns selber, als wir von außen gesehen werden. International gilt der Strukturwandel an der Ruhr als Vorbild. Was wir brauchen, ist der Blick über den Tellerrand. Wenn wir wahrgenommen werden wollen in der Welt als Investitionsstandort, müssen wir uns als einheitlich und zukunftsfähig präsentieren. Dafür machen wir uns stark und daran arbeiten wir.