Hamburg. Zwei Anwälte stellten 2011 öffentlichkeitswirksam Strafanzeige gegen Erdogan. Danach wurde es still. Das ist aus der Anzeige geworden.
Die Vorwürfe wiegen schwer. In der Strafanzeige geht es um Hinrichtungen, Tötung von Gefangenen, Folter und Chemiewaffeneinsatz. Es geht um Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Einsatz verbotener Mittel der Kriegsführung. Angezeigt: Recep Tayyip Erdogan. Vor vierhalb Jahren, im Oktober 2011, wurde auf Initiative der Kölner Menschenrechtsorganisation MAF-DAD – Verein für Demokratie und internationales Recht e. V. Strafanzeige gegen den damaligen Premierminister der Türkei bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe eingereicht. Doch was ist daraus geworden?
Ein Blick zurück: Im Herbst 2011 war Erdogan gerade auf Staatsbesuch in Deutschland. Deutsche Anwälte nahmen dies zum Anlass, in Karlsruhe öffentlichkeitswirksam Strafanzeige gegen den damaligen türkischen Ministerpräsidenten sowie gegen den damals amtierenden Verteidigungsminister Vecdi Gönül, dessen Vorgänger Sabahattin Çakmakoglu und İsmet Yılmaz sowie mehrere hohe Militärs zu stellen. Sie wurden für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht, die angeblich seit 2003 im Kurdenkonflikt in der Südosttürkei begangen worden seien.
Anwälte listen zehn exemplarische Fälle von Verbrechen auf
Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB, Stand 2002) sah demnach vor, militärische Vorgesetzte und verantwortliche Politiker wegen geächteter Kriegsverbrechen international belangen zu können, auch wenn die Taten außerhalb Deutschlands begangen wurden. Die Hamburger Anwälte Britta Eder und Heinz Jürgen Schneider vertraten in der Anzeige Angehörige von Opfern. Auf insgesamt 109 Seiten listeten sie zehn exemplarische Fälle von Kriegsverbrechen gegen kurdische Rebellen auf.
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Etwa den Fall von Ugur und Ahmet Kaymaz, Vater und Sohn, die am 21. November 2004 von türkischen Sicherheitskräften erschossen wurden – offenbar warteten sie unbewaffnet vor ihrem Lastwagen, als Polizisten das Feuer eröffneten. Ein anderer Fall: Zwischen dem 8. und 15. September 2009 sollen türkische Soldaten in einer Höhle nahe der Stadt Çukurca im Südosten der Türkei Giftgas gegen kurdische Kombattanten eingesetzt haben. Dabei hat die Türkei ein Chemiewaffen-Abkommen unterzeichnet, das den Einsatz von Giftgas verbietet. Oder: der Fall einer Exekution eines 18-jährigen Gymnasiasten. Er habe am 7. Oktober 2009 wegen einer Razzia das Haus seines Onkels verlassen, sei festgenommen, zu einer nahe gelegenen Schlucht gebracht und dort grausam gefoltert und erschossen worden.
Uneingeschränkte Immunität für Erdogan
„Am 30. Oktober 2011 haben wir die Strafanzeige eingereicht“, erinnert sich der beteiligte Hamburger Rechtsanwalt Heinz Jürgen Schneider. „Sechs Wochen später, am 19. Dezember sagt der Eingangsstempel, wurde das Verfahren von der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe mit einem Schreiben eingestellt“, berichtet er auf Anfrage dieser Redaktion.
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Schneider, der mittlerweile nicht mehr als Anwalt, sondern als juristischer Krimi-Schriftsteller tätig ist, fasst den Inhalt zusammen. Demzufolge hieß es in dem Schreiben, Erdogan genieße als Premierminister uneingeschränkte politische Immunität, deshalb sei die Strafanzeige nicht weiter geprüft worden. „Sie ist damals also an einer formalen Hürde gescheitert“, erklärt Schneider. Er klingt ein wenig resigniert. An eine höhere Instanz konnten er und seine Mitstreiter sich nicht wenden. „Das war alles, was wir machen konnten. In Deutschland gibt es keine Beschwerdemöglichkeit, weil die Bundesanwaltschaft die höchste Staatsanwaltschaft in Deutschland ist.“