Essen. "Der Westen sollte auch mit Präsident Ahmadinedschad reden," sagt die iranische Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi im Gespräch mit der WAZ. Dabei sollten auch die Menschenrechtsverletzungen im Iran Thema sein.
Vor ein paar Tagen war unser früherer Bundeskanzler Schröder zu einem Besuch in Teheran. Er hat den Präsidenten Ahmadinedschad kritisiert, hat ihn aber auch getroffen. War das richtig?
Ebadi: Ja, es war richtig. Wenn Sie jemanden von der Richtigkeit Ihrer Meinung überzeugen wollen, müssen Sie mit ihm reden.
Sollte auch die aktuelle deutsche Regierung mit Ahmadinedschad sprechen?
Ebadi: Ganz allgemein gilt: Verhandlungen sind immer gut. Wichtig ist allerdings, worüber gesprochen wird und welche Probleme man betont.
Offenbar bereitet die US-Regierung einen Kurswechsel in der Iran-Politik vor. Sollte sie auch das Gespräch suchen?
Ebadi: Die politischen Beziehungen zwischen den USA und dem Iran sind seit Beginn der Revolution abgebrochen. Aber irgendwann muss das ein Ende haben. Dieser Zustand kann ja nicht ewig dauern.
Wie könnten die Gespräche aussehen?
Ebadi: Sie müssen auf drei Ebenen stattfinden, zwischen den Präsidenten, zwischen den Parlamenten und zwischen den zivilgesellschaftlichen Institutionen. Es darf keine Vorbedingungen geben. Und sie dürfen sich nicht auf die Frage der Kernenergie beschränken – alle Probleme müssen auf den Tisch.
Auch die Frage der Menschenrechte?
Ebadi: Die Menschenrechtsverletzungen im Iran müssen unbedingt Teil der Gespräche sein. Die iranische Regierung kann nicht behaupten, dass das eine innere Angelegenheit sei. Jede Menschenrechtsverletzung auf der Welt geht die gesamte Menschheit an.
Was sind die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen im Iran?
Ebadi: Es herrscht Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Gemäß iranischem Recht ist eine Frau nur halb so viel wert wie ein Mann. Ein Beispiel: Wird ein Paar auf der Straße überfallen, dann steht dem Mann doppelt so viel Schadenersatz zu wie der Frau. Außerdem gibt es Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit, und die Redefreiheit ist sehr stark eingeschränkt.
Am 12. Juni sind im Iran Präsidentschaftswahlen. Im Westen gilt Chatami als Hoffnungsträger. Zu Recht?
Ebadi: Ich will nichts sagen, was für oder gegen einen Kandidaten spricht. Ganz allgemein: Gemäß der Verfassung hat der Staatspräsident nur wenige Befugnisse. Die wichtigen Befugnisse liegen beim Revolutionsführer.
Sie haben angekündigt, dass Sie die Präsidentschaftswahl boykottieren wollen. Warum?
Ebadi: Es geht um Prinzipien, die mir wichtig sind. Die Menschen sollen freie Wahl haben, wenn sie ihre Stimme abgeben. Doch im Iran ist es so, dass jeder Kandidat zuvor vom Wächterrat bestätigt werden muss. Die Mitglieder dieses Rates sind nicht vom Volk gewählt. Und solange diese Vorauswahl besteht, werde ich an Wahlen nicht teilnehmen. Aber ich verstehe das nicht als Empfehlung. Viele sagen, sie wollten sich für das geringere von zwei Übeln entscheiden und dieses Argument kann auch richtig sein.
Welche Konsequenzen haben Sie zu fürchten, wenn Sie Ihre Meinung äußern?
Ebadi. Was ich sage, wird nicht veröffentlicht. Eine Zeitung, die das druckt, würde verboten. Etwas anders ist es im Internet. Aber ich werde seit Jahren bedroht. Vor Jahren habe ich zufällig meinen Namen auf einer Todesliste entdeckt.
Sie leben also unter dem Schwert?
Ebadi: Immer. Aber das tun alle, die die Menschenrechte everteidigen.
Haben Sie eigentlich die Hoffnung, dass sich die Menschenrechtslage verbessert?
Ebadi: Ja, ich habe diese Hoffnung, denn der Druck der Menschen im Iran ist sehr groß. Es gibt sehr starke Bewegungen der Studenten, der Frauenrechtler und der Arbeitnehmer im Iran.
Sie setzen also auf Evolution statt Revolution?
Ebadi: Das ist vollkommen richtig. Die Ära der Revolutionen ist vorbei. Die Menschen im Iran haben eine Revolution und acht Jahre Krieg gegen den Irak erlebt. Sie sind des Blutvergießens müde.
Kann der Iran eine demokratische islamische Republik sein?
Ebadi: Ich bin für die Trennung von Staat und Religion – damit die Politiker die religiösen Überzeugungen der Menschen nicht missbrauchen können. Den Islam muss man so deuten, dass er sich mit den Menschenrechten vereinbaren lässt. Zum Glück verfügt der Islam über dieses Potenzial. Aber die iranische Regierung will dieses Potenzial nicht nutzen.
Dolmetscher: Aboulghasem Zamankhan
Dr. Schirin Ebadi (61) wurde nach der Revolution 1979 aus ihrem Amt als Richterin gedrängt. Heute ist sie Anwältin und Menschenrechtsaktivistin, sie wurde 2003 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die staatlichen Sender versuchten damals, die Nachricht zu unterdrücken. Erst als die Massen protestiert hatten, war ein Sender bereit, die Nachricht von der Preisvergabe zu senden – aber nur einmal und das um 23 Uhr. Wie konnte es sein, dass trotzdem praktisch jeder Bescheid wusste? „Die Leute gucken Satelliten-Fernsehen aus dem Ausland”, sagt Ebadi. „Natürlich ist das verboten, aber was Teheran angeht: Dort haben von zehn Haushalten etwa sieben eine Satelliten-Antenne.” Schirin Ebadi war am Freitag Gast des Workshops Herausforderung Zukunft in Bochum.