Essen. . Wäre das Ruhrgebiet ein Unternehmen, stünde es vor der Pleite. Altschulden wachsen, investiert wird wenig. Gleichzeitig starten andere Regionen durch.

Im Grunde sind die Zeiten günstig. Die Arbeitslosenquote ist vielerorts niedriger als früher, die Menschen zahlen viel Geld in die Sozialversicherungen ein, die Zinsen sind niedrig. Der Bund hilft den Kommunen bei der Eingliederungshilfe für Behinderte und bei den Kosten der Unterkunft, gerade erst hat Berlin einen Investitionsfonds für die deutschen Städte aufgelegt. Es ist wieder Geld da für Schulen, Straßen, Sportstätten, Kultur. Aber im Ruhrgebiet ist das überhaupt nicht so. Wie abgekoppelt, wie ein riesiger Fremdkörper wirkt das Revier, vergleicht man seine Finanzen mit denen anderer Regionen und Großstädte.

Haushalte sind fast ausgeglichen

Die Schuldenlast der 53 Städte und Gemeinden an der Ruhr hat sich in zehn Jahren fast verdoppelt: auf 23,4 Milliarden Euro, wie Gerhard Micosatt, Mitautor des aktuellen Kommunalfinanzberichts Ruhrgebiet, vorrechnet. Tatsächlich ist die Lage noch ernster. Denn in dieser Rechnung fehlen die Verbindlichkeiten der vielen städtischen Tochtergesellschaften. Die Arbeitslosigkeit stagniert im Revier bei rund 11 Prozent (NRW: rund 7 Prozent; westdeutsche Flächenländer: 5,5 Prozent). Das Schlimmste aber: Die gefährlichen Kassenkredite erreichen immer abenteuerlichere Höhen. Kassenkredite sind Schulden, die dazu dienen, Schulden zu bezahlen. 14,6 Milliarden Euro dieser „Kredite zur Liquiditätssicherung“ belasten das Ruhrgebiet. Das sind 2888 Euro je Einwohner. In den westdeutschen Flächenländern insgesamt sind es weniger als 500 Euro je Einwohner. Außerdem gehören die Grund- und Gewerbesteuern, die im Revier kassiert werden, bekanntlich zu den höchsten.

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Einen kleinen Hoffnungsschimmer konnten die Autoren des Kommunalfinanzberichts Ruhrgebiet gestern präsentieren: Sieht man von den Altschulden ab, schaffen viele Städte einen halbwegs ausgeglichenen Haushalt. Zwischen Ausgaben und Einnahmen klaffte Ende 2014 im Ruhrgebiet eine Lücke von 371 Millionen Euro, und das waren immerhin 130 Millionen Euro weniger als im Jahr davor.

Dennoch: Die Aussichten sind düster. Zwar hilft der „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ der Landesregierung vielen verarmten Kommunen. „Das ist eine starke Unterstützung, aber es ist nur eine auf Zeit“, sagte Martin Junkernheinrich (TU Kaiserslautern), der die Finanzen des Ruhrgebietes analysiert hat.

Zeitbombe steigende Zinsen

Der Professor warnt zudem die Städte des Ruhrgebiets davor, sich auf den aktuell sehr niedrigen Zinsen auszuruhen: „Sie helfen den Kommunen zwar dabei, finanzielle Engpässe zu überbrücken, sind aber gleichzeitig eine Gefahr für die Zukunft.“ Sollten die Zinsen nur um zwei Prozent steigen, würde das eine Mehrbelastung von 300 Millionen Euro für die Region bedeuten. „Und dieses Geld müsste eingespart werden“, so Junkernheinrich.

Banken würden es sich dann immer gründlicher überlegen, ob sie die Ruhr-Region mit Krediten bedienen. Die Last der Schulden und die vergleichsweise hohen Kosten für Sozialleistungen wirken sich dramatisch auf die Fähigkeiten der Städte aus, Geld für die Instandhaltung und den Bau von Gebäuden, Straßen oder für eine bürgerfreundliche Verwaltung auszugeben. „Investition“ bleibt ein Fremdwort an der Ruhr. In Zahlen bedeutet das: 115 Euro Investitionen je Einwohner im Jahr 2014 sind weniger als die Hälfte dessen, was in Westdeutschland durchschnittlich ausgegeben wird: 263 Euro/Einwohner.

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Noch gar nicht einkalkuliert sind die zusätzlichen Kosten, die den Ruhrgebietsstädten durch die Versorgung der Flüchtlinge entstehen. Und zwar für viele Jahre. „Die Integration wird noch erhebliche Finanzmittel erfordern“, heißt es in dem Bericht. Martin Junkernheinrich meint: Ohne Hilfe von Land und Bund können die Revierstädte ihr Schuldenproblem nicht lösen. Zumindest eine „Teilübernahme der Altschulden“ sei empfehlenswert.

Übrigens: Berlin ächzt unter 60 Milliarden Euro Altschulden, dreimal mehr als das Revier. Und der Energie-Konzern RWE hat ebenso hohe Schulden angehäuft wie die Revierstädte.