Berlin. Ein Meer aus Demonstranten mit Fahnen und Schildern in Berlin. Der Protest richtet sich gegen zwei geplante transatlantische Freihandelsabkommen.

Bei einer der größten Demonstrationen der vergangenen Jahre in Deutschland haben mindestens 150 000 Menschen in Berlin gegen die geplanten Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada (TTIP und CETA) protestiert. Die Veranstalter gingen über die Zählung der Polizei noch deutlich hinaus und sprachen am Samstag von etwa 250 000 Teilnehmern. Angemeldet waren bis zu 100 000. Der Protest stand unter dem Motto "Für einen gerechten Welthandel!". Die Demonstranten versammelten sich am Vormittag am Hauptbahnhof und zogen bis zur Siegessäule. Es waren so viele Menschen unterwegs, dass Zehntausende noch nicht losgelaufen waren, als die Spitze der Demonstration bereits das Ziel erreicht hatte. Nie zuvor seien in Europa mehr Menschen zu diesem Thema auf die Straße gegangen, sagten die Veranstalter.

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Getragen wurde der Protest von Umwelt- und Verbraucherschützern, Sozialverbänden und Gewerkschaften. Die Kritiker der Abkommen befürchten eine Aushöhlung europäischer Regeln und ein Sinken ökologischer und sozialer Standards. Sie fordern, die TTIP-Verhandlungen mit den USA zu stoppen und das mit Kanada verhandelte CETA-Abkommen nicht zu ratifizieren. Auch in Amsterdam demonstrierten mehrere Tausend Menschen gegen die Abkommen.

1000 Polizisten überwachen TTIP-Demonstration

Einige der Teilnehmer in Berlin hatten sich verkleidet und auch die Demonstrationswagen waren zum Teil kreativ gestaltet. Vorne fuhren einige Traktoren. Einer davon zog ein Holzpferd auf einem Anhänger mit der Aufschrift "TTIP - ein Trojaner?" hinter sich her. Einige Männer waren als Bestatter gekleidet und trugen Särge, auf denen jeweils ein Wort stand: "Sozialstaat", "Umweltschutz" und "Demokratie". Eine andere Gruppe von Männern in Anzügen trug Wolfsmasken und hielt Schilder mit Aufschriften wie "Komm näher, Rotkäppchen" oder "Ihr könnt uns vertrauen". Die Polizei war mit rund 1000 Beamten im Einsatz. Zwischenfälle gab es einem Sprecher zufolge zunächst nicht.

Die EU und die USA verhandeln seit Juli 2013 über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TIPP), die durch den Wegfall von Zöllen und sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen - etwa technischen Standards und Zulassungsvorschriften - mehr Wachstum und neue Jobs schaffen soll.

Wirtschaftsminister Gabriel wirbt für TTIP

Zu den Rednern an der Siegessäule gehörte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann. Die Gewerkschaften seien weder gegen den internationalen Handel, noch lehnten sie die Globalisierung ab, sagte er laut seines vorab verbreiteten Redetextes. "Nur sind die Früchte der Globalisierung immer ungleicher verteilt." Fairer Welthandel funktioniere nicht ohne starke Rechte für Arbeiter. "Mit vereinten Kräften müssen wir verhindern, dass Arbeitnehmerrechte zum Spielball einer ungezügelten Globalisierung werden."

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Mit einer ganzseitigen Anzeige in mehreren Tageszeitungen warb Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) für das Abkommen. "TTIP ist weder 'gut' noch 'böse'", hieß es. Verbände, Gewerkschaften und engagierte Bürger hätten bereits viel erreicht, etwa für deutlich mehr Transparenz in den Verhandlungen gesorgt. Europa habe die Chance, die Regeln für die Globalisierung mitzugestalten, und müsse seine Ideen von Freiheit im Handel und Verantwortung für die Menschen voranbringen.

Industrie will TTIP-Abkommen

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BD), Ulrich Grillo, warnte vor einer Verweigerungshaltung. "Wir Europäer müssen die Globalisierung gestalten wollen. Wer nur blockiert, verliert", sagte er. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer meinte: "Mir ist unerklärlich, warum hierzulande in letzter Zeit eine neue Mentalität der Abschottung um sich greift."

Europa dürfe nicht abseits stehen, warnte EU-Digitalkommissar Günther Oettinger. FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete TTIP als "die zivilisatorische Chance, der Globalisierung Regeln zu geben und unseren Wohlstand zu sichern".

Argumente im TTIP-Streit: Wachstum gegen Verbraucherschutz?

Das geplante Freihandelsabkommen TTIP mit den USA stößt vor allem in der deutschen Bevölkerung auf heftigen Widerstand. Ein Überblick über Argumente von Befürwortern und Kritikern:

PRO:

  • Der Wegfall von Zöllen und mehr gemeinsame Standards kurbeln die Wirtschaft an und schaffen neue Jobs. Mit 800 Millionen Verbrauchern entsteht der größte Wirtschaftsraum der Welt.
  • Nur ein Zusammenschluss zwischen USA und Europa verhindert, dass Asien künftig die führende Rolle im Welthandel spielt.
  • Deutschland profitiert als größte Exportnation Europas über die Maßen vom Freihandel. Jeder vierte Arbeitsplatz in der Bundesrepublik hängt direkt oder indirekt vom Export ab.
  • Gemeinsame Standards, beispielsweise für die Produktion von Autos, ermöglichen Kosteneinsparungen bei der Herstellung. Das könnte zu sinkenden Preisen für die Verbraucher führen.
  • Europa und die USA rücken auch politisch weiter zusammen.

KONTRA:

  • Es besteht die Gefahr, dass europäische Vorschriften zum Schutz von Verbrauchern, Arbeitnehmern oder der Umwelt gelockert werden, weil sie als Handelshemmnisse eingestuft werden könnten.
  • Über Regeln zum sogenannten Investitionsschutz bekommen internationale Großkonzerne die Möglichkeit, nationales Recht und nationale Politik auszuhebeln. Die Parlamente verlieren hingegen an Einfluss.
  • Zahlreiche Menschen in ärmeren Ländern verlieren ihre Jobs, weil es Unternehmen außerhalb der neuen Freihandelszone schwerer haben werden, ihre Waren in den USA oder Europa zu verkaufen.
  • Zölle spülen jedes Jahr Milliardensummen in die Staatskassen bzw. den EU-Haushalt. Dieses Geld würde fehlen.
  • TTIP gefährdet die kulturelle Vielfalt in Europa, weil staatliche Subventionen auf den Prüfstand kommen könnten. (dpa/epd)