Essen. Wieder geraten Flüchtlinge aneinander, diesmal im Grenzdurchgangslager Friedland. Die Polizeigewerkschaft mahnt: Politiker verharmlosen das Problem.

Die Massenschlägerei begann mit einem Kuss. Ein 52-jähriger Iraker näherte sich im Supermarkt einer verheirateten 28-jährigen Afghanin und küsste sie auf die Wange. Im Grenzdurchgangslager Friedland ging dann der Ehemann auf den Iraker los. Es kam zu einer Schlägerei zwischen rund 100 Flüchtlingen aus Afghanistan und dem Irak. 90 Polizisten waren nötig, um die Massenschlägerei in den Griff zu bekommen. So geschehen am Montagabend.

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Gründe für solche Massenschlägereien gibt es viele. Schuld sei vor allem die „extreme Überbelegung“ der Lager, sagte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) dieser Redaktion am Mittwoch am Rande eines Besuchs im Lager Friedland. Die Flüchtlinge stünden unter enormer Anspannung. „Diese Enge, die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten, das Nichtstun und die Ungewissheit, was wird.“ Allerdings betont Pistorius, es gebe keineswegs jeden Abend irgendwo eine Massenschlägerei.

Ausschreitungen in Hamburg, Braunschweig, Calden und Suhl

Doch die Fälle häufen sich. So wurden am Dienstagabend in Hamburg fünf Menschen bei einer Massenschlägerei zwischen etwa 30 Asylbewerbern aus Albanern und Afghanen verletzt. Die Männer gingen teilweise mit Stangen aufeinander los. Ein Albaner soll zwei Afghanen sogar mit einer Pistole bedroht haben. Der Grund für die Schlägerei war eine „Duschgebühr“: Albaner hatten von Flüchtlingen anderer Nationalitäten Geld für die Benutzung der Waschräume verlangt.

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In Braunschweig ging es hingegen um ein Handy. Ebenfalls am Dienstagabend lieferten sich in der Landesaufnahmebehörde 300 bis 400 Flüchtlingen aus Algerien und Syrien eine Massenschlägerei. 60 Polizisten waren im Einsatz. Vergangene Woche war es im hessischen Calden in einer Erstaufnahmeeinrichtung nach einem Streit um die Essensausgabe zu einer Massenschlägerei zwischen mehreren hundert Flüchtlingen gekommen. Im thüringischen Suhl gab es Ausschreitungen, nachdem ein Flüchtling Seiten aus einem Koran herausgerissen und in eine Toilette geworfen hatte – 17 Menschen wurden verletzt, die Polizei nahm 15 Tatverdächtige fest.

Polizeigewerkschaft spricht von Verniedlichung der Probleme

Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, wirft den Politikern vor, Berichte über Gewalt oder auch sexuelle Übergriffe in Flüchtlingsunterkünften herunterzuspielen. „Mein Eindruck ist, dass insbesondere in den Ländern viel verharmlost wird.“ Es sei zwar verständlich, dass die Politik versuche, die Lage zu beruhigen. „Aber da ist schon viel Verniedlichung dabei.“ Niedersachsens Innenminister Pistorius weist das deutlich zurück: „Wir kehren hier nichts unter den Teppich.“

Die Gewerkschaft der Polizei in Thüringen wirft der rot-rot-grünen Landesregierung sogar vor, Straftaten in Flüchtlingsunterkünften zu verschweigen. „Wir gehen nicht transparent genug damit um“, sagte GdP-Landeschef Kai Christ dieser Redaktion. „Beinahe täglich müssen Polizeibeamte in Asylbewerberheimen aufgrund von Diebstählen, Streitigkeiten oder Schlägereien tätig werden. Aber die Polizei trägt es nicht nach außen, weil sie es nicht soll.“ Zwar gebe es dazu keine schriftliche Weisung aus dem Innenministerium, aber es werde so kommuniziert. Straftaten würden von der Polizei verfolgt und geahndet, Rot-Rot-Grün jedoch habe entschieden, dass über die Entwicklung der Delikte nur sehr mager in der Öffentlichkeit diskutiert werden solle. „Wir gehen nicht ehrlich genug mit unserer Bevölkerung um“, sagte Christ.

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Im Bundesinnenministerium wird überlegt, die Kriminalität unter Flüchtlingen gesondert zu erfassen. „Wir prüfen gerade, ob wir da auch ein Lagebild erstellen, um das faktenbasiert etwas genauer darstellen zu können“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch.

Flüchtlinge haben "praktisch keine Privatsphäre"

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ist angesichts der Massenschlägereien besorgt. „Der große und zum Teil unkontrollierte Zustrom von Flüchtlingen gibt natürlich Anlass zur Sorge“, sagte der CSU-Politiker dieser Redaktion. „Wir holen uns mit der großen Zahl der Flüchtlinge Konflikte ins eigene Land, wie die Auseinandersetzungen in manchen Asylbewerberunterkünften zeigen.“

Auch die Leitung der Flüchtlingsunterkunft in Friedland macht sich Sorgen vor neuen Massenschlägereien. „Es ist zu befürchten, dass solche Auseinandersetzungen zunehmen, wenn wir hier keine Entlastung bekommen“, sagte Heinrich Hörnschemeyer, Leiter des Heims. Eigentlich ist hier für 700 Menschen Platz – jetzt sind hier 3700 Flüchtlinge untergebracht. Will Hörnschemeyer in sein Büro, muss er über Matrazenlager steigen. „Die Leute haben praktisch keine Privatsphäre“, sagte Hörnschemeyer.

Dankbarkeit gibt es trotzdem. „Ihr Deutschen tut mehr für uns, als ein Bruder für seinen Bruder tut“, sagte ein Arzt aus dem syrischen Aleppo, der mit seiner Familie nach Deutschland gekommen ist.