Berlin. . Ein interner Bericht der Bundesbehörden soll neue Prognosen zur Entwicklung der Flüchtlingszahlen liefern. Im Gespräch sind 1,5 Millionen für dieses Jahr. Die Regierung erwartet den Nachzug von Frauen und Kindern

Mehrfach korrigierten ­Behörden in diesem Jahr die Prognosen der Flüchtlingszahlen nach oben. Noch im Februar ging der Bund von 300.000 Menschen aus, die aus Krisenregionen nach Deutschland fliehen. Mittlerweile liegen die Schätzungen bei 800.000. Laut einem internen Papier, aus dem die „Bild“-Zeitung zitiert, gehen Behörden nun offenbar von 1,5 Millionen Flüchtlingen bis zum Ende des Jahres aus.

Die Bundesregierung kennt ­dieses Papier nach Angaben eines Sprechers nicht. Doch ein Dementi kommt ebenfalls nicht. Und so stellt sich die Frage: Wie viele Flüchtlinge kommen tatsächlich nach Deutschland?

Prognosen sind schwer, sie hängen von vielen Faktoren ab: etwa vom Fortgang der Kriege und der Armut in den Heimatländern der Geflohenen oder von den neuen Wegen, die Schleuser für ihr ­Geschäft finden. Entscheidend ist aber noch ein anderer Faktor: der Nachzug von Frauen und ihren Kindern. Familienministerin ­Manuela Schwesig (SPD) geht von hohen Zahlen aus: „Wir rechnen damit, dass im Zuge des Familiennachzugs sehr viele Frauen und Kinder nachkommen“, sagt die SPD-Politikerin dieser Zeitung.

Schwesig ruft dazu auf, Frauen und Kinder bevorzugt zu behandeln: „Bei allen Maßnahmen zum Schutz, zur Versorgung und zur ­Integration müssen Frauen und Kinder Vorrang haben.“

Welche Prognosen gibt es für den Familiennachzug?

Erst flieht der Vater, dann folgen Mutter und Kinder: Über den Familiennachzug können anerkannte Flüchtlinge Ehepartner und minderjährige Kinder nach Deutschland holen. Allein reisende Minderjährige, die einen Aufenthalts­titel bekommen haben, dürfen ihre Eltern nachholen. Um abzuschätzen, mit wie vielen Zuzüglern das Land durch den Familienzuzug auf Dauer rechnen muss, ist die Größe der Kernfamilie entscheidend: Einen „konkreten Faktor“ für die Statistik gebe es aber nicht, sagte gestern ein Sprecher des Innen­ministers. Die zu erwartenden ­Zahlen allerdings seien „nicht unerheblich“.

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Laut Visastatistik des Auswärtigen Amts lag die Zahl der nachziehenden Eheleute und Kinder im Jahr 2014 bei rund 51.000 Personen. Laut dem internen Papier, aus dem „Bild“ zitiert, liegt der Familienfaktor zwischen vier und acht: Ein Flüchtling würde demnach im Durchschnitt neben seinem Ehepartner zwischen drei und sieben Kindern nachholen.

Ist es gut, wenn mehr Frauen kommen?

Experten und Politiker setzen seit Langem auf die Frauen: „Frauen sind der Schlüssel für Integration“, sagt Schwesig und warnt deshalb: „Die Fehler der Vergangenheit, sich nur auf die Arbeitsmarktintegration der Männer zu konzentrieren, dürfen wir nicht wiederholen.“

Jede Frau solle so schnell wie ­möglich an einem Integrationskurs teilnehmen und die Sprache lernen – auch um hiesige Vorstellungen von Gleichberechtigung zu fördern: „Es ist unabdingbar, dass das Thema der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ein Schwerpunkt ist in den Integrationskursen.“ Das sei wichtig für die Frauen, „aber auch besonders für die Männer“.

Wie groß ist bislang der Anteil der Frauen unter den Flüchtlingen?

Ein Drittel der Flüchtlinge, die ­zuletzt nach Deutschland kamen, sind Frauen. Bei den Syrern ist es sogar nur ein Viertel. Die meisten Antragstellerinnen sind sehr jung: Mehr als die Hälfte sind unter 25 Jahre alt, viele sind noch nicht einmal erwachsen.

Wie ist die Lage in den Unterkünften?

„Ich sehe mit Sorge, dass der Schutz von Frauen und Mädchen in den Massenunterkünften bislang oft nicht gewährleistet wird“, sagt Familienministerin Schwesig. „Eine Rückzugsmöglichkeit für Frauen gibt es meist nicht.“ In den Gemeinschaftsunterkünften müssten aber klare Strukturen herrschen: „Das fängt schon damit an, dass die Toiletten und Wasch­räume abschließbar und nach Geschlechtern getrennt sein müssen.“

Alleinstehende Frauen, allein unter Männern

Auch die Integrationsbeauf­tragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, hebt hervor: „So schwierig es derzeit ist, für alle Flüchtlinge überhaupt nur ein Bett und ein Dach über dem Kopf zu organi­sieren – wir müssen bestimmte Standards bei der Unterbringung von Frauen einhalten.“ Gerade beim Schutz vor Gewalt: Bundesweite Zahlen zu Übergriffen auf Frauen in Flüchtlingsheimen gibt es bislang nicht. Die Aufmerksamkeit muss noch wachsen. Es könne nicht sein, dass „alleinstehende Frauen, die noch dazu in der Unterzahl sind, gemeinsam mit einer Gruppe von alleinstehenden Männern untergebracht werden“, sagt die SPD-Politikerin dieser Zeitung.