Berlin. Norbert Walter-Borjans ist unter Steuerbetrügern gefürchtet. Der nordrhein-westfälische Finanzminister kaufte in den vergangenen Jahren mehrfach CDs mit Namenslisten von Steuerhinterziehern ein – und löste damit bundesweit mehr als 100.000 Selbstanzeigen aus. Über seine Pläne und Gesetzesänderungswünsche spricht der SPD-Politiker mit der Funke Mediengruppe.

Herr Minister Walter-Borjans, schüren Sie eigentlich gerne Spannungen zwischen Deutschland und der Schweiz?

Norbert Walter-Borjans: Ich mag die Schweiz und die Schweizer, ich mag nur keine betrügerischen Geschäfte zulasten unseres Gemeinwesens. Dabei sind doch an erster Stelle die Steuerhinterzieher die Täter – und das sind Deutsche. Aber eine Reihe von Schweizer Banken hat ihnen dabei geholfen. Beihilfe zur Steuerhinterziehung ist auch eine Straftat – auch dagegen gehen wir mit aller Konsequenz vor.

Sie nehmen aktuell die großen Finanzinstitute in die Zange – wie gehen Sie da vor?

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Walter-Borjans: Wir haben sehr gute, engagierte Steuerfahnder, die nicht einfach ihr Pensum abarbeiten, sondern Strategien entwickeln, wie man den Betrügern und ihren Helfern auf die Spur kommt. Durch bundesweit mehr als 100.000 Selbstanzeigen haben wir eine breite Datenbasis, die uns viele Hinweise liefert, ob das Einzelverfehlungen von Steuerhinterziehern waren oder ob diese Vergehen nicht ein Stück weit von bestimmten Banken organisiert sind. Wenn sich zum Beispiel die Steuerhinterziehungen immer wieder auf dieselben Banken mit denselben Mustern beziehen, liegt es nahe, dass hier Steuerhinterziehung als Dienstleistung angeboten wurde – oder dass es hier um ein Geschäftsmodell geht, an dem jahrelang eine ganze Branche prächtig verdient hat.

Es heißt, Ihre Fahnder hätten 30 bis 40 Institute im Visier.

Walter-Borjans: Diese Größenordnung kommt hin. Nach dem, was wir dort erkennen, scheint schon sehr systematisch das Angebot entwickelt worden zu sein, bei der Steuerhinterziehung als Dienstleister zu helfen und so viel Geld zu verdienen.

Gegen welche Banken ging es konkret?

Walter-Borjans: Die großen bereits erledigten Fälle waren 150 Millionen Euro Bußgeld von Credit Suisse, 50 Millionen von Julius Bär und 300 Millionen von UBS.

Wie viele Bankmitarbeiter hatten Sie auf dem Radar – mehr als hundert?

Walter-Borjans: Das wäre zwar nicht unrealistisch, ist aber reine Spekulation.

Wie viel haben Sie dadurch eingenommen?

Walter-Borjans: Im Ganzen haben die Bankenermittlungen dem Land NRW bislang rund 600 Millionen Euro eingebracht. Wir erwarten aber noch mehr.

Davon müssen Sie doch anderen Bundesländern etwas abgeben.

Walter-Borjans: Nein, Bußgelder sind Einnahmen der Justiz und nicht der Steuerverwaltung. Sie wandern als globale Mehreinnahmen in den Landeshaushalt und werden nicht wie Steuereinnahmen über den Länderfinanzausgleich verteilt. Natürlich hat das bei dem einen oder anderen Finanzminister Begehrlichkeiten geweckt. Nachdem ich dann gefragt hatte, wie das denn zum Beispiel mit Formel-1-Chef Bernie Ecclestone gewesen sei, der in München mal eben 100 Millionen Euro Bußgeld auf den Tisch gelegt hat, wurden einige Kollegen plötzlich ganz still.

Wie kam es zu diesem Ermittlungsansatz gegen eine ganze Reihe von Banken, den es bislang noch nicht gab?

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Walter-Borjans: Mit der Vielzahl der aufgedeckten Betrugsfälle haben wir nach und nach einen tiefen Einblick in die Methode der Hinterziehung und der dazu von den Banken angebotenen Hilfeleistung bekommen. Zunächst haben wir die Daten-CDs erworben. Da waren ja nicht nur Steuerhinterzieher drauf, sondern auch Schulungsmaterial für Bankmitarbeiter und deren Berichte. Das alles hat eine Welle von Selbstanzeigen ausgelöst, weil der typische Steuerhinterzieher eine Heidenangst davor hat, entdeckt zu werden. Jetzt sind wir bei Stufe drei, bei der wir systematisch die Daten auswerten und auch bei den Leuten, die sich angezeigt haben, nachfragen, ob Banken ihnen Beihilfe geleistet haben. Die Banken haben damit enorme Gewinne gemacht. Einen Teil davon holen wir jetzt zurück. Wir sind damit das erste Bundesland, das Beweismaterial und Zeugenaussagen systematisch auswertet. Das ist zu allererst die Leistung unserer Fahnder. Mein Beitrag besteht lediglich darin, die notwendige Erlaubnis zu erteilen und den Fahndern zu zeigen: Der steht hinter unserer Arbeit. Was die Fahndung aber nicht darf und nicht tut, ist, Menschen zur Datenbeschaffung zu animieren. Das ist unzulässig und nicht nötig: Datenangebote kommen permanent von ganz allein.

In welchem Rechtsrahmen agieren Sie bei dem Vorgehen gegen Banken?

Walter-Borjans: Ab einem bestimmten Punkt wird es eine Frage der Staatsanwaltschaft. Der Bundesrat hat auch die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf aufgefordert, das Strafrecht zu verändern. Es muss möglich sein, Banken Strafen anzudrohen, die offensichtlich Steuerhinterziehung als Geschäftsmodell betreiben. Das sollte in gravierenden Fällen bis zum Entzug der Banklizenz gehen. Dazu brauchen wir eine Änderung im Kreditwesengesetz. Der Bankensektor hat eine Sonderfunktion in der Gesellschaft. Er sorgt mit der Kapitalbereitstellung für das Funktionieren der Wirtschaft. Eine so tragende Säule unserer Gesellschaft kann nicht gleichzeitig Dienstleistungen für den Betrug am Gemeinwesen zulasten der Ehrlichen anbieten. Wer das macht, muss mit empfindlichen Strafen rechnen.

Warum braucht es eine Gesetzesänderung?

Walter-Borjans: Es gibt aus strafrechtlicher Sicht ein Problem, eine Bank dingfest zu machen. Das geht nur, wenn sich nachweisen lässt, dass die Geschäftsführung den Auftrag zur Beihilfe gegeben hat. Wenn man nur einzelne Beschäftigte als Helfer identifizieren kann, ist es zwar möglich, gegen sie vorzugehen und zu sagen: Du hast Beihilfe geleistet. Die Bank kann aber immer sagen: Der Mitarbeiter hatte aber keinen Auftrag. Heute können wir nur zum Erfolg kommen, wenn die Banken für die in die Schusslinie geratenen Berater Bußgelder bezahlen und mit der Staatsanwaltschaft verhandeln. Das kann nur eine Notlösung sein.

Angst haben Sie nie gehabt, wenn Sie sich mit 40 Großbanken anlegen?

Walter-Borjans: Nie. Ich bleibe bei meiner Auffassung, dass man hart in der Sache und freundlich im Umgang sein kann. Ich stelle meine Überzeugung gern zur Diskussion, egal ob mit Bankvertretern aus Deutschland, der Schweiz oder von anderswo oder etwa auch mit politischen Vertretern der Schweiz, Liechtensteins und Luxemburgs. Oder ich stelle mich in Talkshows Fragen und Vorwürfen.

Ändern Banken in der Schweiz oder in Luxemburg ihre Geschäftsmodelle?

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Walter-Borjans: Ich glaube zwar in dieser Branche nicht an eine Veränderung ihrer moralischen Kategorien. Da regiert nach wie vor das Geld. Aber wir haben die ökonomischen Grundbedingungen verändert. Die Schweizer Banken haben enorme Wachstumsraten im Geschäft mit dem deutschen Mittelstand. Viele haben mittlerweile begriffen: Wenn sie nichts ändern, dann wollen die Kunden auf dem Briefbogen keine Schweizer Bankverbindung. Das ist ein ökonomisches Problem. Deshalb lehnen die Banken lieber zwielichtige Kunden ab und haben selbst Druck auf die Schweizer Politik gemacht. Es gibt aber auch Banken, die so spezialisiert auf Steuerbetrug sind, dass sie mit einer Wende zum Guten enorme Probleme haben.

Sie sind jetzt also die Kavallerie, von der Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück immer geträumt hat?

Walter-Borjans: Ich bin an dieser Stelle in der Wortwahl etwas weniger martialisch. Sagen wir so: In dem Feld hat nur die harte Kante Wirkung gezeigt. Bei der Kundschaft, um die es hier geht, ist die Angst vor der Entdeckung und den Folgen das wirkungsvollste Hilfsmittel

Diese Angst scheint zu ungewöhnlichen Gegenreaktionen zu führen: Die Steuerfahndung Wuppertal soll von einem Geheimdienstagenten observiert worden sein.

Walter-Borjans: Das wird in der Presse berichtet und von der Schweiz nicht dementiert. Dabei wäre es kein Zufall, dass sie sich unsere Steuerfahndung ausgesucht haben. Wuppertal ist in der Schweiz bekannter für die Steuerfahndung als für die Schwebebahn. Da hat sich geradezu eine Marke herausgebildet – nicht zu Unrecht.

Im Ernst: Was ist da los?

Walter-Borjans: Ich weiß, dass die Bundesanwaltschaft tätig geworden ist, weil das geheimdienstliche Agententätigkeit eines ausländischen Staates wäre. Und wenn es so wäre, dann fände ich das Verhalten der Schweiz schon sehr ungewöhnlich, weil es die von der Regierung eingeschlagene Weißgeldstrategie in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttern würde.

War der Agent in Deutschland tätig?

Walter-Borjans: Das weiß ich nicht. Wenn es zuträfe, dann wäre das ein dickes Ding. Es müsste im Interesse der Schweiz liegen, sich anders zu verhalten.

Die Schweiz hat einen Strafbefehl gegen mehrere NRW-Steuerfahnder erlassen. Ärgert es Sie, dass sie nicht mehr dorthin reisen dürfen?

Walter-Borjans: Es ist kein internationaler Haftbefehl. Meine Beamten müssen also von keinem anderen Land ausgeliefert werden. Die gehen damit gelassen um. Bemerkenswert ist das Vorgehen allemal.

Waren Ihre Fahnder schon wieder in der Schweiz?

Walter-Borjans: Ich glaube kaum – auch wenn es schon coole Typen sind. Aber es gibt ja noch andere schöne Urlaubsländer in Europa. Wir stechen weiter in die Wespennester der Steuerhinterzieher.