Düsseldorf. Das Flüchtlingsthema bindet Kräfte, die digitale Revolution dümpelt bestenfalls. Mit neuem Personal versucht Hannelore Kraft den Befreiungsschlag.

Was monatelang wortreich geleugnet, treuherzig abgestritten oder dreist ins Reich der politischen Fantasie verwiesen wurde, ist nun Fakt: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bildet eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl ihr Kabinett um und tauscht gleich drei Minister aus. Auch wenn die Verjüngungskur heute sicher offiziell mit Krankheit oder Amtsmüdigkeit der ausscheidenden Minister begründet werden wird, ist sie doch unverkennbar der Versuch eines Befreiungsschlages.

Krafts Kabinett steckt kräftig in den Mühen der Ebene fest. Die Flüchtlingskrise hält die Behörden pausenlos auf Trab und viele überlastete Kommunen machen auch das Land für das Chaos mitverantwortlich. Die von Kraft zu Jahresbeginn ausgerufene „digitale Revolution“ in NRW ist bislang blutleer geblieben.

Auch interessant

Das politische Langzeit-Motto „Kein Kind zurücklassen“ ist ohnehin von so edler Allgemeingültigkeit, dass es kurzfristig niemanden elektrisiert. Und die „Chefin“ Kraft selbst, zu Amtsbeginn noch bundesweiter Darling der Medien, macht sich öffentlich zunehmend rar. Die Bürgermeister-Wahlen vor zehn Tagen mit der Erdrutsch-Niederlage in Oberhausen haben das Mobilisierungsproblem der SPD in ihren Hochburgen dramatisch dokumentiert.

Schneider konnte wenig Akzente setzen

Wie im Fußball setzt man auch in der Politik in solch kritischen Phasen auf verlässliche Leute. Arbeits- und Sozialminister Guntram Schneider muss seinen Platz für Rainer Schmeltzer räumen. Dem früheren DGB-Landeschef Schneider ist es in fünf Jahren nie gelungen, das für die SPD so wichtige Thema Arbeit und Soziales öffentlichkeitswirksam zu platzieren. Als Antreiber in zentralen Debatten der sozialen Gerechtigkeit war NRW ein Totalausfall. Mit Fraktionsvize Schmeltzer kommt nun ein anderer erfahrener Gewerkschafts-Haudegen, der auch gegenüber Kraft häufiger eine eigene Meinung artikuliert hat. Die Einbindung eines Kritikers ist wohl auch als Signal an die eigene Landtagsfraktion gedacht. Motto: Seht her, alle sind wichtig.

Krafts Staatskanzleichef Franz-Josef Lersch-Mense beerbt die anerkannte Bundes- und Europaministerin Angelica Schwall-Düren, die sich mit 67 aufgerieben hat in der Pendelei zwischen Berlin, Brüssel und Düsseldorf. Lersch-Mense ist ein Kraft-Vertrauter und schon einst bei Vize-Kanzler Franz Müntefering in die Lehre gegangen. Auch er gilt als sichere Bank.

In der SPD sind frische Ideen gefragt

Für die erfahrene, aber offenbar amtsmüde Familienministerin Ute Schäfer rückt die junge Bundestagsabgeordnete Christina Kampmann ins Kabinett. Sie vertritt wie Schäfer die wichtige Ostwestfalen-SPD und soll ein wenig Fantasie in die zuletzt müde wirkende Regierungsmannschaft bringen. Frische Ideen sind gefragt.

Die scheidenden Minister können sich damit trösten, dass sie nach fünf Amtsjahren die vollen Pensionsansprüche erworben haben. Dass dieser Gedanke bei der Kabinettsumbildung je eine Rolle gespielt haben könnte, wird Kraft natürlich auch energisch dementieren.