Essen. . Bei der Bürgermeisterwahl in NRW gab es am Sonntag einen Negativ-Rekord: Noch nie war die Wahlbeteiligung geringer. Und dabei dürfte es nicht bleiben.
Der Stimmbezirk 116 im Wuppertaler Wahlkreis Elberfeld-Mitte dürfte landesweit den Rekord markieren: Nur 12,8 Prozent der Wähler dort stimmten am Sonntag bei der Bürgermeisterwahl ab. Im Durchschnitt blieben fast 60 Prozent der Wähler der Wahl fern. Ein Warnsignal an Parteien und Politiker?
"Es gibt bei uns keinen Grenzwert für Legitimation", sagt der Düsseldorfer Parteien- und Politikforscher Prof. Ulrich von Alemann: "Wahlbeteiligung ist freiwillig, das ist auch gut so", meint er. Zudem: Die Wahl der Landräte und Bürgermeister von Sonntag sei "eine Sonderwahl" gewesen. Nur in 178 der 396 Städte und Gemeinden in NRW standen neue Bürgermeister und Landräte zur Wahl. "Da konnte keine allgemeine Wahlstimmung aufkommen".
Extra Bürgermeisterwahl ist als Experiment gescheitert
Die meisten Chefposten in Rathäusern und Kreisverwaltungen waren bereits im Mai 2014 besetzt worden - weil viele Bürgermeister sich damals freiwillig ein Jahr vorzeitig zur Neuwahl stellten. Folge einer Wahlrechtsänderung der einstigen Rüttgers-Regierung, die Rot-Grün später wieder korrigierte. Der Wille von CDU und FDP, Bürgermeister losgelöst vom Rat für sechs statt fünf Jahre zur Wahl zu stellen, war mit Blick auf die NRW-weit niedrige Wahlbeteiligung vom Sonntag also ein gescheitertes 'Experiment'. Ab 2020 sind Rats- und Bürgermeisterwahlen in NRW wieder am selben Tag.
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Die niedrige Wahlbeteiligung vom Sonntag - NRW weit lag der Durchschnitt laut NRW-Innenministerium bei 40,9 Prozent - "sollte man nicht so hoch hängen", sagt der Duisburger Politikwissenschaftler Martin Florack. "Wähler in Deutschland bewerten Kommunalwahlen allgemein als zweitranging"; Im Mai 2014 gab nur jeder zweite Wähler in NRW seine Stimme ab. 1994 hingegen waren es bei der Kommunalwahl 81,7 Prozent - weil am selben Tag Bundestagswahl war.
"Deutschland ist zu einer gespaltenen Demokratie geworden"
Erschreckend sind für Prof. Ulrich von Alemann ohnehin nicht die Zahlen vom Sonntag, sondern eine gesellschaftliche Veränderung: "Deutschland ist zu einer sozial gespaltenen Demokratie geworden", verweist von Alemann auf die jüngste Studie der Bertelsmann-Stiftung. Menschen mit hoher Bildung und in wirtschaftlich guten Verhältnissen gehen wählen, die am anderen Ende der Skala verzichten zunehmend auf ihr Wahlrecht.
Doch die Motive von Wählern und Nichtwähler bei Kommunalwahlen sind kaum erforscht, sagt Sebastian Kuhn, Politikwissenschaftler an der Fernuni Hagen. Bei Landtags- und Bundestagswahlen hätten Studien belegt, "dass zum Beispiel mehr zufriedenen Menschen zur Wahl gehen, als Unzufriedene", sagt Kuhn. Bei Kommunalwahlen gäbe es viele weitere Faktoren, aber kaum empirisch fundierte Daten dazu. Nicht immer sei eine geringe Wahlbeteiligung ein Grund zur Sorge, meint Kuhn. Und sie sei auch nicht immer nur ein Zeichen von Frust und Protest.
Wahlbeteiligung ist auch eine Frage des Wahltermins
Prof. Norbert Kersting von der Uni Münster sieht die geringe Wahlbeteiligung als Anlass für die Politik, "neue Wahlformen zu testen" - etwa im Internet. Versuche in der Schweiz und in Estland hätten gezeigt, dass das Wähler mobilisiere, sagt er: Online sei man es ja auch gewohnt, durch 'Likes' etwa auf Facebook, seine Stimme abzugeben. Martin Florack verweist auf Baden-Württemberg als Vorbild: zumindest in der Theorie hätten Parteien dort kein Recht, Bürgermeister-Kandidaten aufzustellen, sagt er. In NRW hingegen sei Kommunalpolitik stark von Parteien dominiert - die aber würden allgemein und immer stärker abgelehnt. Vieles liege auch am Wahltermin, ergänzt Sebastian Kuhn. "In einem Jahr mit mehreren Wahlen zu unterschiedlichen Terminen, profitieren auch Kommunalwahlen von mehr Interesse der Wähler".
Michael Kunert, Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts infratest/dimap empfiehlt indes einen Verzicht auf die Stichwahlen; Schwarz-Gelb in NRW hatte sie abgeschafft, Rot-Grün 2011 wieder eingeführt. In insgesamt 49 Städten, Gemeinden und Kreisen sind die Wahlberechtigten nun am 27. September zur Stichwahl aufgerufen, etwa in Essen und Bochum. Die Erfahrung lässt leere Wahllokalen befürchten. Die Wahlbeteiligung 2014 lag bei den Stichwahlen stets niedriger. In Mönchengladbach zum Beispiel sank sie von 42,8 auf 29.6 Prozent.
Am wenigsten hat die Bürgermeisterwahl vom Sonntag übrigens die Wähler in Unna interessiert. Nur 25,5 Prozent machten ihr Kreuz, davon 82,5 Prozent bei SPD-Amtsinhaber Werner Kolter. Er war der einzige Kandidat in der Stadt.