Berlin/Athen. Der deutsche Außenminister beobachtet die Entwikclung in der Türkei mit Sorge: Präsident Erdogan setzt auf Zuspitzung des Kampfes gegen die PKK.

In der Türkei sind im Konflikt zwischen kurdischen Aufständischen und Sicherheitskräften am Sonntag acht Menschen ums Leben gekommen. Zwei Polizisten starben nach Angaben von Behörden, als eine Autobombe in der Nähe ihres Postens in der Provinz Sirnak detonierte. Ein Polizist wurde bei einem Angriff von Kämpfern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in Silvan getötet. Im Zentrum der größten Stadt in der Region, Diyarbakir, wurde eine Ausgangssperre verhängt.

Als Reaktion auf den Anschlag hätten türkische Sicherheitskräfte eine Bergregion angegriffen, in die sich PKK-Kämpfer zurückgezogen hätten, hieß es von türkischer Seite. Dabei seien fünf Aufständische getötet worden.

In Istanbul ging die türkische Polizei am Sonntag mit Tränengas und Wasserwerfern gegen pro-kurdische Demonstranten vor. Die Demonstranten liefen die zentrale Einkaufsstraße Istiklal entlang und skandierten regierungskritische Slogans. Was genau der Auslöser für den Polizeieinsatz war, war zunächst unklar.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte, er verfolge mit Sorge von Woche zu Woche eine weitere Eskalation der Gewalt. "Bei allem Verständnis für eine angemessene Reaktion auf terroristische Angriffe hoffe ich doch, dass die Regierung in Ankara sich darum bemüht, die Lage zu beruhigen und auf Überreaktionen verzichtet", sagte er unserer Zeitung. In der Türkei starben seit Ende des Waffenstillstands mit der PKK im Juli mehr als 100 Polizisten und Soldaten, Hunderte Aufständische wurden getötet. Die Türkei bombardiert auch PKK-Lager im Nordirak.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte an, so lange zu kämpfen, "bis kein Terrorist übrig ist". Anfang November stehen Wahlen in der Türkei an. Beim Urnengang im Juni gewann die prokurdische Opposition erstmals genügend Stimmen für den Einzug ins Parlament und beendete die mehr als ein Jahrzehnt andauernde Einparteien-Herrschaft von Erdogans AKP.

Manche Experten halten daher das Vorgehen der Türkei für innenpolitisch motiviert und fürchten, dass das den Kampf gegen die Terroristenmiliz "Islamischer Staat" (IS) schwächen könnte. Kurdische Kämpfer leisten im Irak und Syrien Widerstand gegen die Islamisten. Bis zu 100 Bundeswehr-Soldaten bilden im Nordirak unter anderem kurdische Kämpfer aus. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will nun den Einsatz der Bundeswehr ausweiten. Die Bundeswehr sei bereit, die erfolgreiche Arbeit in den Kurdengebieten auch mit der irakischen Zentralregierung fortzusetzen, sagte die CDU-Politikerin.

Aus Sorge vor gewaltsamen Auseinandersetzungen mit PKK-Anhängern verbot dieáPolizei in Essen eine nicht angemeldete Demonstration türkischer Nationalisten. Diese hatten für Sonntagmittag zu einer Kundgebung aufgerufen. Als PKK-Sympathisanten daraufhin eine Gegendemonstration anmelden wollten, wurde dies von der Polizei zurückgewiesen. Am Samstag hatte die Polizei in Hannover bei Auseinandersetzungen zwischen kurdischen und türkischen Demonstranten einschreiten müssen. Dabei wurde ein Teilnehmer schwer verletzt.

Nur 36 Stunden nach Aufhebung der international kritisierten Ausgangssperre in der südosttürkischen Stadt Cizre haben die Behörden ein erneutes Ausgehverbot verhängt. Das vorherige Ausgehverbot war am 4. September nach Zusammenstößen mit der PKK in Kraft gesetzt worden.

Das rund 100.000 Einwohner zählende Cizre, unweit der Grenzen zu Syrien und zum Irak gelegen, ist seit Jahrzehnten ein Symbol des kurdischen Widerstandes und eine Hochburg der PKK.

Cizre war immer wieder ein Brennpunkt des Kurdenkrieges, der seit 1984 über 40.000 Tote gefordert hat. Jetzt, wo der Kurdenkonflikt wieder aufflammt, ist die Stadt erneut Schauplatz blutiger Kämpfe.

Am vorvergangenen Freitag verhängte die Regierung eine Ausgangssperre über Cizre, zwei Tage später stürmte die Armee die Stadt. Bei den Kämpfen wurden nach Angaben der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP 21 Zivilisten getötet, darunter Frauen und Kinder. Das Innenministerium in Ankara spricht davon, bei dem Einsatz seien "bis zu 32 Terroristen" und ein Zivilist getötet worden.