Berlin. Brennende Asylbewerberheime und Hetze gegen Flüchtlinge - das Land ist aufgewühlt. Die Kanzlerin sendet dazu eine klare Botschaft an die Bürger.

Sie ist gut drauf. Es gibt sogar, sagen wir mal: Nachspielzeit. Wie beim Fußball. Als die eingeplanten 90 Minuten überschritten sind, lässt Angela Merkel (CDU) ihren Auftritt vor der Bundespressekonferenz fünf Minuten lang weiter laufen.

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Von der ersten Minute an machte sie gestern eines klar: Flüchtlingshilfe ist Chefsache. Es ist eine neue, vielleicht die Herausforderung ihrer Kanzlerschaft. Wieder einmal geht es um mehr als Deutschland – um Europa. Versage Europa in der Flüchtlingsfrage, gehe die enge Bindung zu den Bürgerrechten „kaputt“. Ihre insgeheime Sorge, dass die Flüchtlingsfrage Europa zerreißt, deutet sie nur an.

Merkel verliert keinen Wort über einen möglichen Rücktritt

Jeden Sommer stellt sie sich den Journalisten. Mitten in der Griechenland-Krise hatte sie den Termin abgesagt, den sie nun nachholt. Merkel ist bald zehn Jahre Kanzlerin, aber man sucht vergebens nach Zeichen der Amtsmüdigkeit. Wer darauf spekuliert, dass sie 2017 nicht wieder kandidieren wird, muss jetzt ganz tapfer sein. Sie fühle sich „jeden Tag gefordert“, versichert die Kanzlerin. Die Arbeit bereite ihr „nach wie vor Freude“, beteuert Merkel; und auch, dass sie mit sich selbst „sehr im Reinen“ sei.

Das bezog sich eigentlich auf die Griechenland-Krise, die wenig zur Sprache kommt. Momentan interessiert die Flüchtlingskrise; es ist die Frage, die sie selbst umtreibt und anspricht. „Wenn so viele Menschen so viel auf sich nehmen, um sich ihre Träume in Deutschland zu erfüllen, dann stellt uns das nicht das schlechteste Zeugnis aus“, sagt sie. Merkels Sound. Frage nicht, wo die Gefahr ist. Frage vielmehr. „Wo ist die Chance?“

"Jetzt ist deutsche Flexibilität gefragt"

Für sie selbst ist es eine Chance, Politik zu gestalten. Was will sie? Vorneweg: Zuversicht verbreiten. „Wir schaffen das.“ Und zwar mal nicht die deutsche Art: „Deutsche Gründlichkeit ist super. Aber jetzt ist deutsche Flexibilität gefragt.“ Die Einheit sei auch nicht mit den normalen Regeln bewältigt worden.

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Bund und Länder sollen in den nächsten Wochen eine Vielzahl von Entscheidungen treffen, was erstens Geld – „Milliarden“, sagt sie nur vage – kosten wird, zweitens auf die Schnelle über die Bühne von Bundestag und Bundesrat gehen soll und drittens unkonventionelles Handeln erfordert. Es sei im Zweifel besser, Flüchtlinge in leergeräumten Kasernen unterzubringen, deren Brandschutz abgelaufen ist, als sie in Zelten zu belassen.

Merkel geht grob davon aus, dass bis zu 50 Prozent der Asylbewerber anerkannt, im Land bleiben und früher oder später ihre Familien nachholen werden. Das bedeutet wiederum, dass sie die Deutschen darauf einstimmen muss, dass die Menschen bleiben und uns verändern werden. Umso wichtiger: Die innere Haltung. Merkel ist überzeugt, dass die große Mehrheit der Bürger tolerant und weltoffen ist. Die Zahl der Helfenden überrage die Zahl der Hetzer und Fremdenfeinde um ein Vielfaches. Es dürfe „keine Toleranz“ gegenüber denen geben, die diese Humanität infrage stellen.

Merkel will keine Ost-West-Debatte

Sie selbst war letzte Woche in Heidenau angepöbelt worden. Einiges muss man in dem Amt aushalten können. An ihrer Haltung ändert es nichts: „Eine klare Abgrenzung“ fordert sie, übrigens im Osten nicht anders als im Westen. Eine Ost-West-Debatte will sie nicht führen: „Wir sind ein Land.“

Indes begegnet ihr die Ost-West-Debatte, auf die sie sich in Deutschland ungern einlassen will, ein zweites Mal und auf der höheren europäischen Ebene. Sie ist, was Europa und die Flüchtlinge betrifft, arg angefressen. „Ich glaube, dass unsere Werteordnung aufbaut auf der Würde jedes einzelnen Menschen“, setzt sie an. Es bekümmere sie, wenn einzelne EU-Staaten erklären (oder so handeln), dass sie keine Schwarzen oder Muslime aufnehmen wollen. „Das kann nicht richtig sein,“ dafür habe sie kein Verständnis. Merkel: „Darüber müssen wir in Europa auch sprechen.“