Sousse/Tunis. Urlauber verlassen in Scharen das Land. Sie lassen Menschen zurück, die vom Tourismus leben. Die Tunesier selbst haben wenig Hoffnung.
Kinder hielten Kerzen in den Händen. Die Erwachsenen trugen Plakate, auf die sie „Nein zum Terror“ geschrieben hatten. Immer wieder skandierte die Menge „Raus mit den Terroristen“ und „Für ein freies Tunesien“. Tausende Menschen gingen am Wochenende in der Hafenstadt Sousse auf die Straße.
Trauer und Mitgefühl, aber auch Verzweiflung und Ärger standen in ihren Gesichtern, deren Stadt zu 40 Prozent vom Tourismus lebt. „Mein Geschäft ist erledigt, ich werde in nächster Zeit nichts mehr verkaufen“, sagte ein Andenkenhändler in der Altstadt, der Stoffe, Keramik und Schmuck führt. Auch der Strand des „Imperial Marhaba“ liegt verwaist in der Sonne, abgesperrt mit Flatterband. An den Rändern der Liegefläche haben Überlebende und Einheimische Blumen in den Sand gelegt. Bewaffnete Polizisten patrouillieren um das Areal, wo sich vor drei Tagen das schwerste Massaker an Touristen in der Geschichte Tunesiens zutrug.
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Fast alle 550 Gäste der Fünf-Sterne-Hotelanlage sind abgereist. Was die Terrortat für die beginnende Hochsaison in Tunesien bedeutet, ließ sich am Wochenende auf den nahegelegenen Flughäfen von Monastir und Sousse erahnen. Bis vor die Außentüren der Abflugterminals stauten sich die Reisenden, die nur noch ein Ziel hatten, möglichst schnell wegzukommen aus dem Land, in dem ein Informatikstudent innerhalb von 20 Minuten 38 ihrer Miturlauber erschoss und 39 teilweise lebensgefährlich verletzte.
Auch wenn noch nicht alle Toten identifiziert sind, mindestens 15 Opfer stammen aus Großbritannien. Ein Deutscher hat nach Angaben des Berliner Außenministeriums ebenfalls sein Leben verloren, eine Urlauberin liegt mit einer Kugel im Rücken im Krankenhaus. Über 5000 Briten, 2000 Belgier und 200 Deutsche sind inzwischen ausgeflogen worden - abgeholt von einer Großflotte von Charterflugzeugen, die europäische Reiseveranstalter das Wochenende über nach Tunesiens schickten.
In 80 Moscheen wird Hass gepredigt
Für die Tourismusindustrie des kleinen Mittelmeeranrainers ist dieser zweite mörderische Terroranschlag nach dem Attentat im Bardo-Museum vor drei Monaten eine Katastrophe. 16 Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaftete die Ferienbranche zuletzt, was sie zu einer tragenden Säule des Volkseinkommens macht. 470.000 Menschen arbeiten direkt im Urlaubsgeschäft, das entspricht knapp 14 Prozent aller Beschäftigten.
„Wir werden nicht zulassen, dass die schwarze IS-Fahne unsere Nationalflagge verdrängt“, hatte der Staatschef Beji Caid Essebsi (88) noch in der Attentatsnacht auf einer improvisierten Pressekonferenz in der Lobby des Unglückshotels deklamiert. Gleichzeitig kündigte er in Sousse an, die Behörden würden in den nächsten Tagen 80 nicht staatlich lizensierte Moscheen schließen, in denen Hass gepredigt werde.
"Der Attentäter hätte früher gestoppt werden können"
In Tunis erklärte Premierminister Habib Essid, die Regierung werde Reservisten mobilisieren und eine spezielle Touristenpolizei zum Schutz der Küste und der Badehotels schaffen. Innenminister Mohamed Najem Gharsalli dagegen übte scharfe Kritik an dem Sicherheitspersonal des Hotels. „Der Attentäter hätte früher gestoppt werden können“, sagte er einem Radiosender. Der Wachschutz habe nicht sofort nach Beginn der Schießerei die Polizei informiert. „Es gibt Anzeichen für ein Versagen der Sicherheitskräfte“, erklärte auch der Chef der islamistischen Ennahda-Partei, Rached Ghannouchi.
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Widersprüchliche Angaben gibt es nach wie vor zu möglichen Komplizen. Auf Fotos ist die Festnahme eines zweiten Mannes dokumentiert, der von einer aufgebrachten Frau mit Fäusten traktiert wird. Trotzdem gab die Polizei bekannt, der von ihr erschossene Seifeddine Rezgui habe allein gehandelt.
Als Extremist war der Täter, der noch nie in seinem Leben im Ausland war, den Sicherheitsbehörden nicht bekannt. Ein Bekennerschreiben des „Islamischen Staates“ pries ihn als Soldaten des Kalifats, der diesen „abscheulichen Hort der Prostitution, des Lasters und des Unglaubens“ ausgeräuchert habe. Dagegen berichteten tunesische Medien, der 23-Jährige habe eher selten die Moschee besucht, sei ein leidenschaftlicher Breakdancer gewesen, der auch mal einen Joint rauchte. Das Ferienressort Port El Kantaoui, zu dem das „Imperial Marhaba“ gehört, kannte er offenbar gut. Dort hatte er bisweilen als Animateur für europäische Urlauber gearbeitet.