Athen/Brüssel. . Die Euro-Partner verzweifeln an der Athener Regierung und erhöhen den Druck. Doch Premier Tsipras muss auch daheim mit wachsender Kritik kämpfen.
Als hätte Alexis Tsipras nicht schon Sorgen genug: In den Verhandlungen mit den Gläubigern versucht Athens Regierungschef weitere Sparauflagen abzuwenden – da tut sich im griechischen Staatshaushalt plötzlich ein neues Milliardenloch auf. Das oberste griechische Verwaltungsgericht kassierte die Rentenkürzungen aus dem Jahr 2012 als verfassungswidrig ein. Sie müssen zurückgenommen werden. Das bedeutet für den ohnehin von der Pleite bedrohten Staat Mehrkosten von einer bis 1,5 Milliarden Euro im Jahr.
Für Tsipras ist der Richterspruch zwar einerseits eine politische Genugtuung, denn er selbst hatte die Rentenkürzungen als Oppositionsführer kritisiert und deren Rücknahme angekündigt. Andererseits dürfte es ihm nun Kopfschmerzen bereiten, wo er das benötigte Geld auftreiben soll. Die Verhandlungen mit den Gläubigervertretern, in denen die Rentenreform eine wichtige Rolle spielt, werden dadurch nicht einfacher.
„Es zählt jeder Tag!“
Die Verhandlungen auf europäischer Ebene hatten in der Nacht zu gestern wieder einmal mit einer Enttäuschung geendet. Ein Dreier-Gipfel mit Bundeskanzlerin Merkel, dem französischen Präsidenten Hollande und Athens Regierungschef Tsipras brachte nicht den erhofften Durchbruch. Merkel, die zusammen mit Hollande den griechischen Premier noch einmal ins Gebet genommen hatte, verkündete eine klare Botschaft an die Griechen: „Es zählt jeder Tag!“
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Griechenland müsse sich zusammen mit den drei Gläubiger-Institutionen (EU-Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds) „mit Nachdruck und Hochdruck“ um Lösungen für die offenen Fragen bemühen. Offenbar gibt die Kanzlerin die Sache noch nicht verloren: „So wie ich das Gespräch verstanden habe, besteht die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den drei Institutionen, und das sollte jetzt auch genutzt werden.“
Nach Ansicht eines hochrangigen Insiders sind die Aussichten, in letzter Minute mit der Athener Regierung eine Verständigung über die Auszahlung der ausstehenden 7,2 Milliarden aus dem laufenden Hilfsprogramm hinzubekommen, mittlerweile unter 50 Prozent gesunken. Das Programm ist bis zum 30 Juni befristet. Unmittelbar vorher – am 25./26. Juni – treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zu ihrem regulären Frühjahrsgipfel. Ein Deal bedürfte aber der Zustimmung durch die verschiedenen Gremien der Beteiligten, einschließlich des Bundestags, weswegen der Gipfel zu spät kommt, um noch einen Kompromiss zu vereinbaren.
„Wir haben genug geblutet!“
Ob Tsipras Entgegenkommen in der Sache erkennen ließ, blieb nach den Brüsseler Treffen offen. Immerhin ließ EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der sich zuletzt über unkorrektes Verhalten des Kollegen aus Athen beschwert hatte, wissen, man habe „die persönliche Beziehung wieder hergestellt“. Ansonsten schloss sich auch der Luxemburger, der als besonders verständnisvoll für die griechischen Nöte gilt, den Warnungen an: „Die Kuh muss vom Eis. Sie rutscht aber dauernd aus. Wir versuchen sie jetzt wieder anzuschieben.“
Die Verhandlungen werden auch dadurch erschwert, dass Premier Tsipras daheim zunehmend Gegenwind spürt. Die Gewerkschaften machen mobil gegen die Sparpolitik. Etwa 200 Mitglieder des kommunistischen Gewerkschaftsbundes Pame besetzten gestern das Athener Wirtschaftsministerium. Sie verschafften sich Zugang zum Dach des Gebäudes und entrollten dort ein Riesentransparent. Es zeigt unter der Parole „Wir haben genug geblutet, wir haben genug gezahlt“ die drei Ministerpräsidenten, die Griechenland seit 2009 hatte: Giorgos Papandreou, Antonis Samaras und Alexis Tsipras. Alle drei, so das Plakat, stünden für Sparprogramme, eines schlimmer als das andere.
Dass er in der direkten politischen Erbfolge von Papandreou und Samaras dargestellt wird, dürfte Tsipras nicht gefallen. Schließlich war er in den Wahlkampf gezogen mit dem Versprechen, den Sparkurs zu beenden.