Essen. . Bertelsmann-Studie beschreibt eine extreme Schieflage in Deutschland. Kämmerer rufen nach Entlastung. Duisburg, Dortmund und Hamm besonders betroffen.

Drastisch steigende Sozialausgaben belasten die Finanzen der Revierstädte. In Duisburg, Dortmund und Hamm fressen die Kosten für Kinder- und Jugendhilfe, für Sozialhilfe und Wohnkosten für Hartz IV-Bezieher inzwischen etwa die Hälfte der Haushalte auf. Kaum besser ist die Lage in Essen, Herne und im Ennepe-Ruhr-Kreis, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt.

Die Stiftung fordert, der Bund solle einen höheren Anteil von den Wohnkosten für Hartz4-Empfänger übernehmen. Gerade das Ruhrgebiet würde davon profitieren. Bürgermeister und Kämmerer aus der Region stellen sich gestern hinter diese Forderung. Essens Kämmerer Lars Martin Klieve fordert seit langem, dass der Bund bei seinen Hilfen stärker auf die Kriterien Langzeitarbeitslosigkeit und Kosten der Unterkunft achtet. Die Kosten für Soziales sind in zehn Jahren bundesweit um mehr als 50 Prozent gestiegen

„VW-Stadt“ Wolfsburg ist fein raus

Die deutschen Städte müssen für Sozialausgaben immer tiefer in ihre Kassen greifen. Von um 50 ­Prozent gestiegenen Sozialkosten in zehn Jahren spricht die Bertelsmann-Stiftung. Aber das heißt nicht, dass alle Kommunen ähnlich belastet sind.

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Die blühende „VW-Stadt“ Wolfsburg muss zum Beispiel nur 17 Prozent ihres Etats für Sozialleistungen aufwenden, das arme Duisburg hingegen 52 Prozent.

Finanzexperten von Bertelsmann sagen nun: Es gibt eine Chance, ­diese Schieflage zu beseitigen. Wenn der Bund die Kommunen stärker als bisher bei den Wohnungskosten für Hartz 4-Empfänger entlasten würde, hätten sogar die verschuldeten Ruhrgebietsstädte eine Chance, aus den tiefroten Zahlen zu kommen. Essens Kämmerer Lars Martin Klieve, der seit Monaten für eine solche Lösung trommelt, hofft jedenfalls auf erhebliche Haushaltsverbesserungen.

Fünf Milliarden Euro sollen ab 2018 jährlich verteilt werden

Die Gelegenheit ist günstig, denn der Koalitionsvertrag stellt den Kommunen eine Entlastung in Höhe von jährlich fünf Milliarden Euro ab 2018 durch den Bund in Aussicht. Nach welchen Kriterien dieses Geld fließen soll, ist Verhandlungssache.

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Die Autoren der Studie machen eine aus Ruhrgebietssicht reizvolle Rechnung auf: Wenn der Bund schon vor vielen Jahren gezielt Städte mit vielen Arbeitslosen und Hartz 4-Empfängern entlastet hätte, dann wären Dortmund, Bochum, Oberhausen heute nahe an der schwarzen Null.

Wohnkosten erhöhen die Schulden

Uwe Bonan, Mülheimer Kämmerer und Sprecher des bundesweiten Bündnisses „Für die Würde unserer Städte“, bestätigte gegenüber dieser Zeitung, dass die Kosten der Unterkunft ein entscheidender Faktor seien. „Für Mülheim liegt hier die Netto-Belastung für den Haushalt bei 33 Millionen Euro im Jahr – und das bei einem Gesamtdefizit von 76 Millionen Euro“, so Bonan. Rund 18 600 von 170 000 Mülheimern bekämen die Kosten der Unterkunft erstattet. Der Kosten-Anstieg allein in diesem Bereich: 60 Prozent in zehn Jahren.

Lars Martin Klieve glaubt, ein verstärktes Engagement des Bundes bei den Wohnkosten könnte die Qualität eines „dauerhaften Stärkungspaktes“ bekommen. Der Bund, ­sagen die Kämmerer, stehe in der Verantwortung.