Ankara. . Die geschlagene AKP sucht nach ihrer Wahlschlappe in der Türkei einen Ausweg. Die anderen Parteien lehnen eine Koalition ab. Neuwahlen sind denkbar.

Ratlosigkeit in Ankara: Nach den schweren Stimmenverlusten der islamisch-konservativen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) suchen die Politiker jetzt nach einem Ausweg aus der verfahrenen Lage. Die AKP, die das Land seit 2002 ununterbrochen im Alleingang regierte, blieb zwar stärkste Partei, verlor aber ihre absolute Mehrheit.

Der Wahlausgang ist eine schwere persönliche Niederlage für Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Er hoffte auf eine Zweidrittelmehrheit für die AKP, um eine Präsidialverfassung einzuführen, die ihm wesentlich mehr Macht bescheren sollte. Diese Pläne sind nun vom Tisch. Erstmals schaffte die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) den Sprung ins Parlament. Sie übersprang mit gut 13 Prozent Stimmenanteil die in der Türkei geltende Zehnprozenthürde und hat im neuen Parlament 80 Sitze.

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„Wir haben uns nie gebeugt“

Nach knapp 50 Prozent bei der Wahl von 2011 kam die AKP nur auf 40,9 Prozent. Sie ist für die Regierungsbildung damit auf einen Koalitionspartner angewiesen. Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus sagte, man wolle die Bildung einer Koalitionsregierung probieren. Die Führer der drei anderen Parlamentsparteien lehnen jedoch bisher ein Regierungsbündnis mit der AKP ab.

Ministerpräsident Davutoglu gab sich zunächst ungebeugt. „Jeder sollte wissen, dass die AKP der Gewinner dieser Wahl ist“, sagte der Premier. In einer Rede vor AKP-Anhängern rief Davutoglu „Wir haben uns nie gebeugt und werden uns nie beugen.“ Nach den starken Stimmenverlusten könnten seine Tage als Parteichef aber gezählt sein. Präsident Erdogan rief in einer knappen Erklärung die Parteien zu „verantwortungsvollem Handeln“ auf. „Demokratische Errungenschaften“ müssten geschützt werden.

„Die Demokratie hat gewonnen“

Kemal Kilicdaroglu, Chef der Republikanischen Volkspartei (CHP), die auf 25 Prozent kam und erneut die zweitstärkste Fraktion im Parlament stellt, erklärte: „Wir haben mit demokratischen Mittel eine Ära der Unterdrückung beendet. Die Demokratie hat gewonnen, die Türkei hat gewonnen!“

Als eigentlicher Gewinner der Wahl kann sich aber Selahattin Demirtas fühlen, der charismatische Spitzenkandidat der HDP, die deutlicher als erwartet die Zehnprozenthürde überspringen konnte: „Von diesem Augenblick an ist die Debatte über ein Präsidialsystem, die Debatte über eine Diktatur in der Türkei beendet“, sagte Demirtas. Trotz des unfairen Wahlkampfes und obwohl die AKP alle Machtmittel gegen seine Partei eingesetzt habe, sei der HDP ein „großartiger Sieg“ gelungen. Ebenso wie die HDP hat auch die rechts-nationalistische MHP, die 16 Prozent Stimmenanteil erreichte, 80 Sitze im neuen Parlament.

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Erdogan spekuliert auf Hängepartie

Arithmetisch denkbar wäre eine Koalition der drei Oppositionsparteien oder ein Minderheitsbündnis der CHP und der MHP mit Duldung der HDP. Jede Regierungsbildung gegen die AKP als größte Partei wäre aber politisch fragwürdig und könnte das Land vor eine schwere Zerreißprobe stellen.

Das amtliche Endergebnis wird in zehn bis zwölf Tagen erwartet. Gelingt dann binnen 45 Tagen keine Regierungsbildung, muss der Präsident Neuwahlen ansetzen. Beobachter vermuten, dass Erdogan auf eine solche Entwicklung spekuliert – in der Hoffnung, dass seine AKP bei einem zweiten Urnengang wieder zulegt. Schließlich hatte Erdogan als Argument für ein Präsidialsystem immer wieder angeführt, das Land brauche politische Stabilität und eine handlungsfähige Führung, unabhängig von Parlamentsmehrheiten.

Die Aussicht auf wochen- oder gar monatelange politische Turbulenzen ließ am Montag die Istanbuler Börse stark einbrechen. Der Leitindex rutschte gleich zu Handelsbeginn um mehr als acht Prozent ab. Die Lira ging ebenfalls auf Talfahrt und erreichte ein neues Tief gegenüber Dollar und Euro.