Kiew/Donezk. Die blutigsten Gefechte seit Monaten erschüttern das Kriegsgebiet Ostukraine. Die Exzesse sind die schwersten Verstöße gegen den Minsker Friedensplan.
Die Panzer rollen wieder im ostukrainischen Kriegsgebiet Donbass. Dutzende Menschen sterben, erstmals auch wieder zahlreiche Zivilisten - diesmal in dem Ort Marjinka westlich von Donezk. Es sind die schlimmsten Gewaltexzesse seit fast vier Monaten, die die von der Ukraine abtrünnigen Regionen Luhansk und Donezk erschüttern.
Der Mitte Februar in der weißrussischen Hauptstadt Minsk vereinbarte Friedensplan für das Konfliktgebiet Donbass droht seit langem zu scheitern. Ihre Schatten wirft die neue Eskalation auch auf den G7-Gipfel an diesem Wochenende in Bayern.
OSZE-Beobachter besorgt über Aufflammen der Kämpfe
Als Akt der Verteidigung gegen die prorussischen Separatisten begründet der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am Donnerstag den größten Militäreinsatz seit Monaten. Immer wieder hatten die Aufständischen angedroht, ihren Einflussbereich im Donbass auszuweiten. Dieses Expansionsstreben sei nun zurückgeschlagen worden, verkündet Kiew stolz.
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Bei seiner Rede an die Nation dient die neue Eskalation Poroschenko als Steilvorlage für Ankündigungen, die Militärausgaben des Landes künftig noch weiter zu erhöhen. "Die Gefahr großer Kampfhandlungen im Donbass bleibt", betont er. Bisher seien dort 50.000 Soldaten im Einsatz gegen den Feind. Bis Ende dieses Jahres will er die Streikräfte auf rund 250.000 Mann erhöhen.
Besorgt über das massive Aufflammen der Kämpfe äußern sich die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Sie berichteten davon, dass die eigentlich im Minsker Abkommen geächtete schwere Militärtechnik vom Separatistengebiet an die Frontlinie von Marjinka verlegt worden sei. Doch die Aufständischen weisen - wie immer - jede Schuld von sich.
Russland verteidigt Separatisten
"Die Lage in der Donezker Volksrepublik hat sich extrem verschärft", sagt Separatistenführer Eduard Bassurin. 16 Kämpfer seien getötet, fast 90 weitere verletzt worden. Aber die Aufständischen wollten sich weiter an den Friedensplan halten, beteuert er. Es gebe keine Pläne, Artillerie wieder an die Front zu verlegen. Auch Russland ist einmal mehr rasch zur Stelle, um die Separatisten in Schutz zu nehmen.
Schuld an der Gewalt habe die Ukraine, donnern in Moskau Außenministerium und Kreml. Die ukrainische Führung wolle vor dem G7-Treffen und vor dem EU-Gipfel Ende des Monats auch Russland als Aggressor bloßstellen. Es sei das ukrainische Militär, das die Lage bewusst destabilisiere und Spannungen provoziere, so Kremlsprecher Dmitri Peskow. Russland befürchtet, dass der Westen die neue Gewalt als Vorwand dafür benutzen könnte, seine im Ukraine-Konflikt verhängten Sanktionen zu verlängern oder sogar zu verschärfen.
Muskelspiele der Konfliktparteien
Ukrainische Experten wiederum hielten sich mit dramatischen Prognosen zurück. Ob es sich vielleicht nur um einen militärischen Test oder tatsächlich um die Wiederaufnahme großer Kämpfe handelt, bleibt abzuwarten. Verbreitet ist aber in Kiew die Meinung, dass das bisher von den Separatisten kontrollierte Gebiet zu klein ist, um als unabhängige Region überlebensfähig zu sein.
Der Politologe Kost Bondarenko sieht die neue Gewalt am ehesten als Muskelspiele der Konfliktparteien, die bei den Verhandlungen im Minsker Friedensprozess ihre Positionen stärken wollen. Der Experte geht davon aus, dass keiner einen neuen Großangriff beginnen werde. "Keine Seite will am Ende die Schuld auf sich nehmen für ein Scheitern der Waffenruhe", meint Bondarenko.
Gleichwohl sehen viele Beobachter den Minsker Friedensprozess längst in einer Sackgasse, die nur durch neue Kämpfe aufgebrochen werden könne. Angesichts der Exzesse im Donbass kündigte nun der ultranationalistische ukrainische Rechte Sektor eine neue Mobilisierung an. Die militante Bewegung sieht einen neuen großen Krieg schon "ganz nah". (dpa)