Geist in Beton - Ruhr-Uni Bochum feiert 50-jähriges Jubiläum
•
Lesezeit: 7 Minuten
Bochum. . Die erste Universität des Reviers feiert Geburtstag. An dem Bochumer Bau scheiden sich die Geister, doch er markiert den Beginn einer neuen Ära.
Beton ist doch nicht für die Ewigkeit. Das Klappern der Bodenplatten, wenn die Studenten über den Campus eilen, ist der ganz spezielle Takt des Lebens an der Ruhr-Universität Bochum. Komplettiert wird die Melodie vom Einheitsgrau der Gebäude. Gegossen aus Beton und mit Wucht in die Landschaft geworfen wie es nur die euphorischen 1960er-Jahre wagen konnten.
Dass der gesamte Uni-Komplex als Hafen im Meer des Wissens konzipiert wurde, in dem die massigen Gebäude wie Schiffe am Ankerplatz des Geistes anlegen, kann man wohl nur aus der Vogelperspektive erahnen.
Hier war ja nichts. Nur Ackerland
Vor dem riesigen Audimax, dessen Dach an eine Muschel erinnern soll, wirkt Prof. Wulf Schmiedeknecht fast zerbrechlich. Er war als einer der Architekten dabei, als die Uni sprichwörtlich aus dem Nichts entstand, baute verantwortlich das Hörsaalzentrum Ost mit 3000 Plätzen. „Hier war ja nichts, tote Hose. Nur Ackerland“, erzählt der drahtige 79-Jährige und schaut sich um.
Am 2. Januar 1964 begannen die Bauarbeiten, nur eineinhalb Jahre später, am 30. Juni 1965, wurde die Eröffnung gefeiert. Heute schier undenkbar. Möglich wurde dieser rasante Fortschritt durch straffe Organisation und Planung sowie industrielle Bauweise. Keine Rede von Pleiten, Pech und Pannen wie man es heute von Großprojekten beinahe gewöhnt ist, etwa bei der Hamburger Elbphilharmonie oder dem Berliner Flughafen – „hier hat alles funktioniert, Zeitvorgaben und Kostenrahmen wurden eingehalten“, erinnert sich Schmiedeknecht.
Betonfabriken auf dem Campus
Zwei Feldfabriken wurden direkt auf dem Campus errichtet, dort wurden die riesigen, tonnenschweren Betonelemente in Serie gefertigt. Große Kräne brachten die Teile sofort an ihren Platz, „das ging tack, tack, tack“, sagt Schmiedeknecht. Die Arbeiten folgten vom Fundament, dem Hochziehen der Gebäudekerne bis zu Deckenplatten und Installationen einem festgelegten Rhythmus.
Das Ergebnis fand nicht jedermanns Geschmack. Als Beton-Uni war die Hochschule bald verschrieen, depressiv wirke ihre Brutal-Architektur. Sogar mit dem ungerechten Titel „Selbstmorduni“ musste sie leben. Ungemütlich, zugig, abweisend, dunkel, labyrinthisch und kalt waren noch die gnädigeren Attribute, die man dem Bau gab. Von einer „Lernmaschine“ sprachen angewiderte Zeitgenossen. Schmiedeknecht kann das nicht verstehen: „Ich bin heute noch begeistert.“ Für ihn wie für das Bauwerk insgesamt ist es ein Glück, dass sich die Baumeister streng an den ursprünglichen Sieger-Entwurf des Düsseldorfer Architekturbüros Hentrich, Petschnigg und Partner gehalten haben.
Erste Universitätsneugründung in Deutschland
Hermann Henkel hatte als 25-jähriger Jungarchitekt gerade bei dem renommierten Büro angedockt, als er beauftragt wurde, an dem Mammut-Bau mitzuwirken. „Das war eine großartige Sache. Es war die erste große Universitätsneugründung in Deutschland nach dem Krieg!“ Man muss sich vor Augen halten, in welche Zeit die Ruhr-Uni gepflanzt wurde: Vor 50 Jahren prägten Zechen und Hochöfen das Revier. Rund 60 Prozent der Menschen im Ruhrgebiet gingen „auf Maloche“. Doch es war absehbar, dass sich die Zeiten ändern würden. Einst hatte sich Bochum mit Stolz die „größte Zechenstadt Europas“ genannt. Doch zwischen 1959 und 1962 wurden fünf große Schachtanlagen geschlossen. Die Stadt verlor 40 Prozent ihrer Arbeitsplätze im Bergbau.
Als mit Opel Neues kommen wollte, sperrten sich die alten Herren des Ruhrgebiets, die Stahl- und Kohlebarone. „Die versauen uns die Löhne“ schimpfte stellvertretend Hans-Günther Sohl, der mächtige Chef des Thyssen-Konzerns. Aber Opel brachte 16 000 Arbeitsplätze – und neue Hoffnung. Der Kadett wurde das Symbol für einen wirtschaftlichen Neubeginn – und die neue Ruhr-Uni stand für die Zukunft des Ruhrgebiets. Mit ihr zog endlich Wissenschaft ins Malocherland ein.
Arbeiterkinder an die Hochschulen
Bildung statt Bergbau, Arbeiterkinder an die Universitäten – so lautete bald die Devise. Fachkräfte wurden gebraucht für den fälligen Strukturwandel. Wollte aber ein Revierkind studieren, musste es fortziehen. Das sollte, das musste sich ändern. Nach dem Willen der Landesregierung sollte daher im „westfälischen Industrierevier“ eine Universität entstehen. Im politischen Gezerre um den besten Standort machte Bochum schließlich mit dem Landtagsbeschluss 1961 das Rennen – was das benachbarte Dortmund lange nicht verwinden mochte.
Von der Bochumer Aufbruchstimmung schwärmen manche noch heute. „Bochum wurde schnell eine erfolgreiche Uni, ja in manche Bereichen sogar führend“, erinnert sich der Historiker Jörn Rüsen, der zur ersten Generation von Professoren gehörte, die wegen der noch Jahre andauernden Bauarbeiten oft in Gummistiefeln zur Vorlesung kam. Die junge Uni konnte bei Null beginnen, junge Spitzenleute berufen, sie schleppte keine Altlasten, kein akademisches Mittelmaß mit sich herum und stieß unbefangen und selbstbewusst zur wissenschaftlichen Spitze vor.
Um 18 Uhr klappten sie die Bücher zu
Dafür sorgten auch die Studenten. Rüsen: „Es war ein neuer Studententyp, viele kamen aus der Arbeiterschaft. Die hatten einen ganz anderen Arbeitsethos: starker Bildungswille, neugierig, fleißig, nicht versponnen.“ Aber um 18 Uhr klappten die Studenten die Bücher zu. Schicht, Feierabend, ab nach Hause. So hatten sie es bei ihren Vätern erlebt, so gehörte sich das im Revier.
Das Konzept der Uni passte dazu: Funktionalität, kompakte Bauweise, kurze Wege. Hermann Henkel erklärt die bauliche Logik: eine Kreuzform, mit Bibliothek, Audimax und Mensa im Zentrum. Rechts und links sind die Hörsaalzentren gruppiert. Die wissenschaftlichen Disziplinen Medizin, Ingenieurwesen, Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften sind baulich gleichberechtigt.
Konsequent zweckmäßiger Bau
Demokratie und Offenheit sollte die Uni symbolisieren, die konsequente Abkehr vom Baustil der Vergangenheit, vor allem des „Dritten Reichs“ – eben eine Arbeiteruni. Das war der Gedanke dahinter. Und es wurde „ein total technisches Bauwerk“, sagt Henkel. Geboren aus dem Geist der Zeit. Keine Schnörkel, keine Verzierungen, keine Erker und Türmchen, keine Heimeligkeit, dafür funktionale Ästhetik, groß, modern, kompakt, offen und konsequent zweckmäßig.
„Die Ruhr-Uni ist ein Denkmal“, sagt Wulf Schmiedeknecht, der bei dem Rundgang über den Campus ganz ironiefrei Begriffe findet wie „filigrane Fassaden“ – „Beton-Schnitzereien“ – „sakrale Monumentalität“. Tatsächlich erinnern manche Blicke durch die verschachtelten Ebenen des lichtdurchfluteten Foyers des von ihm gebauten Hörsaalzentrums an moderne Kirchenbauten. „Vergleichbares findet man in ganz Europa nicht“, meint auch Hermann Henkel. „Die Uni muss unter Denkmalschutz.“ Auch deshalb, weil heute niemand mehr so etwas bauen würde – Universitäts-Schiffe wie Archen des Wiss ens, glücklich gestrandet auf den Querenburger Höhen.
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.