Brüssel. . EU-Kommissionschef Juncker sieht in der Abgabe eine Benachteiligung für Ausländer. Bundesregierung in der Klemme. Zahlen am Ende alle Autofahrer?
Laut EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker wird Brüssel rechtlich gegen die Pkw-Maut vorgehen. Damit zerschlagen sich Hoffnungen von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), die EU-Kommission werde die Kombination einer Maut für alle und betragsgleicher Steuer-Entlastung für Deutsche nicht als Diskriminierung werten. Wir erläutern die Brüsseler Kritik und die Folgen des Streits.
Warum nimmt sich Brüssel jetzt die Pkw-Maut vor?
Dass Juncker jetzt ein förmliches Verfahren ankündigt, ist keine Überraschung. Verkehrskommissarin Violeta Bulc hat seit Amtsantritt im vergangenen Herbst klar gemacht, dass sie mit Dobrindts Plänen nicht einverstanden ist. Die Einwände sind auch in zahlreichen Treffen sowohl zwischen Bulc und Dorindt persönlich wie auf Arbeitsebene der deutschen Seite vermittelt worden. Rechtlich kann die Kommission erst gegen das Gesetz vorgehen, wenn es von Bundespräsident Joachim Gauck unterzeichnet und im Amtsblatt veröffentlicht ist.
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Angeblich lässt Gauck sich mit der Unterschrift auffällig viel Zeit. Kann er sich weigern zu unterzeichnen, wie der Chef des Verkehrsausschusses im EU-Parlament, Michael Cramer, das gerne hätte?
Das Gesetz über die Pkw-Maut („Infrastrukturabgabe“) liegt seit dem 12. Mai im Bundespräsidialamt – von Verzögerung kann angesichts des üblichen Ausfertigungsstaus vor der Sommerpause keine Rede sein. Gauck prüft das Gesetz auf Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, die bislang nirgendwo angezweifelt wird. Cramer verweist auf die – jenseits des CDU/CSU-Lagers dominierenden - europarechtlichen Bedenken. Ob sich Gauck damit ebenfalls befasst und welche Schlüsse er daraus zieht, ist offen.
Welche europarechtlichen Bedenken bestehen denn?
Für sich genommen ist die deutsche Infrastrukturabgabe auch nach Ansicht der Brüsseler EU-Zentrale in Ordnung. Europarechtswidrig wird sie erst durch die Verknüpfung mit einer Senkung der Kfz-Steuer für deutsche Halter. Das entspricht zwar dem Versprechen der Bundesregierung, wonach kein einheimischer Autofahrer drauflegen muss. Es bedeutet aber zugleich, dass per saldo nur die ausländischen Nutzer der Bundesautobahnen und –Landstraßen die Abgabe bezahlen.
So kommt auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags zum „Schluss, dass die Maßnahmenkombination eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zulasten der nicht in Deutschland Kfz-steuerpflichtigen Fahrzeughalter und Nutzer der deutschen Bundesfernstraßen aus anderen Mitgliedstaaten bewirkt“. Fazit: „Unionsrechtlich nicht gerechtfertigt“. Dieselbe Ansicht vertreten die Juristen der Brüsseler Kommission.
Wie kann Deutschland das drohende Verfahren und mögliche Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof abwenden?
Dobrindt müsste auf die gleichzeitige und gleichwertige Entlastung der deutschen Autohalter verzichten – und damit das Versprechen kassieren, dass diese Klientel ungeschoren bleibt. Nichts deutet darauf hin, dass er das beabsichtigt. „Das wird jetzt durchgezogen, man lässt es darauf ankommen“, vermutet Götz Reichert von der Freiburger Denkfabrik Centrum für Europäische Politik (CEP). Eine Möglichkeit, die deutsche Schadlos-Garantie mit den EU-Maßgaben zu verbinden, sieht er nicht. „Deutschland kommt da nicht raus.“
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Politisch könnte Dobrindt freilich nach der absehbaren Schlappe vor Gericht versuchen, den Schwarzen Peter nach Brüssel zu schieben und die Kommission dafür verantwortlich zu machen, dass leider doch alle, Inländer wie Ausländer, die neue Gebühr schultern müssen.
Warum dürfen andere EU-Staaten Maut erheben und wir nicht?
Grundsätzlich befürwortet die Kommission die Anlastung der Wegekosten und hat deswegen nichts gegen Straßenbenutzungsgebühren. Das sei ein gutes Instrument, Geld aufzutreiben für die nötige Instandsetzung und Modernisierung des Straßennetzes. Besser als Vignetten für Zeiträume wäre aus Brüsseler Sicht zwar eine Streckenmaut wie es sie etwa in Frankreich, Spanien oder Italien gibt.
Aber auch eine zeitliche gestaffelte Gebühr, die Österreich, Slowenien oder außerhalb der EU die Schweiz haben, kann statthaft sein. Voraussetzung ist eine hinreichende Differenzierung der Geltungsdauer, sprich eine Wahlmöglichkeit zwischen Vignetten für eine Woche, einen Monat oder ein Jahr. In dem Rahmen soll selbst eine gewisse Ungleichbehandlung von In- und Ausländern zulässig sein: Nach den einschlägigen Brüsseler Leitlinien aus dem Jahr 2012 („Fairness für alle Fahrer gewährleisten“) dürfte rechnerisch die Gebühr pro Tag für Auswärtige gut achtmal so hoch sein wie für Einheimische. Nur ganz ungeschoren davon kommen dürfen letztere nicht – und genau das sieht das deutsche Kombi-Gesetz vor.
Was wird jetzt aus den Beschwerden der Niederlande und Österreichs, wie läuft das Verfahren?
Beide Länder haben abgewartet, ob Bulc ernst macht, sie werden sich jetzt vermutlich hinter das Vorgehen der Brüsseler Marktaufsicht stellen. Österreich hatte angekündigt, notfalls auch allein zu klagen, sodass es wohl in jedem Fall zu einem Verfahren gegen die Bundesrepublik gekommen wäre. Die Kommission wird, sobald das Gesetz in Deutschland rechtskräftig ist, die vorbereitete Beanstandung aus der Schublade ziehen. Bleibt Berlin, wie zu erwarten, bei seiner Position, kommt es zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, der die Bundesrepublik zur Rücknahme des Gesetzes in der vorliegenden Form verurteilen könnte.
Was wird jetzt aus dem Grundgedanken der Wegefinanzierung durch die Nutzer?
Der Verkehrsausschuss-Chef Cramer von den Grünen sieht „das Konzept der Nutzerfinanzierung durch die irrwitzigen Pläne der Bundesregierung nicht diskreditiert“. Im Gegenteil: Es zeige sich umso klarer die Notwendigkeit einer Debatte, wie die Verkehrswege künftig finanziert werden sollen. „Die Eisenbahn macht es vor: Bereits heute muss europaweit für jede Lokomotive auf jedem Streckenkilometer eine Schienenmaut erhoben werden.“