Hannover. . Unfassbare Szenen sollen sich in Polizeizellen in Hannover abgespielt haben. Ein Bundespolizist steht im Verdacht, junge Flüchtlinge gequält zu haben.

Ein 19-jähriger Marokkaner liegt mit schmerzverzerrtem Gesicht auf weißen Fließen. Seine Hände sind hinter dem Rücken gefesselt, sein Kopf wird gegen die Wand gedrückt. Ein Handy-Foto, wohl aufgenommen Ende September 2014 in einer Zelle der Bundespolizeiwache am Bahnhof in Hannover, könnte ein Beweis für Straftaten sein, die deutschlandweit für Entsetzen und Empörung sorgen: Ein Bundespolizist soll einen in Gewahrsam genommenen, wehrlosen Mann misshandelt haben.

Sofort werden Erinnerungen an ähnliche Bilder von Gefangenen im Bagdader Gefängnis Abu Ghraib aus dem Jahr 2003 wach. Dort posierte unter anderem die amerikanische Soldatin Lynndie England mit angeleintem Gefangenen. Auch über die Übergriffe von Wachleuten in einer Notunterkünfte für Flüchtlinge in Burbach wird plötzlich wieder gesprochen.

Offenbar keine Zweifel an Foto von Misshandlungen

Zweifel an der Echtheit des Bildes gibt es offenbar keine. Es ist Teil eines Beweismittelkonvoluts, welches zwei Zeugen zusammen mit einer Anzeige gegen einen 39-jährigen Bundespolizisten bei der Staatsanwaltschaft Hannover vorgelegt haben. „Nach der Durchsicht des Materials war ein sofortiges Handeln erforderlich“, sagt Oberstaatsanwalt Thomas Klinge am Montag in Hannover.

Letzten Freitag folgen Durchsuchungen im Privathaus und der Dienststelle des Polizisten. Festplatten und eine illegale Waffe werden dabei sichergestellt. Im nächsten Schritt sollen Zeugen, darunter Kollegen des Beschuldigten, und wenn möglich auch die Opfer befragt werden. Die Behörde verfolge die Ermittlungen mit „hoher Priorität“, so Klinge. Das Strafgesetzbuch sieht für Körperverletzungen im Amt bis zu fünf Jahre Haft vor.

Beschuldigter soll in Kurznachrichten mit Misshandlungen geprahlt haben

In den Akten sind nach NDR-Recherchen auch zwei vor Fehlern strotzende Kurznachrichten, in denen der Beschuldigte über diese und mindestens eine weitere Tat prahlt: „Das ist ein Marokkaner. Den habe ich weiß bekommen. XY (der unmittelbare Vorgesetzte, Anmerkung der Redaktion) hat gesagt, dass er ihn oben gehört hat, dass er gequikt hat, wie ein Schwein. Dann hat der Bastard erst mal den Rest gammeliges Schweinefleisch aus dem Kühlschrank gefressen. vom Boden.“

Auch interessant

Ein halbes Jahr zuvor, am 9. März 2014, soll ein 19-jähriger Afghane dem Beamten zum Opfer gefallen sein, wie er in einer anderen SMS prahlte: „Hab den weggeschlagen. Nen Afghanen. Mit Einreiseverbot. Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig. Und an den Fußfesseln durch die Wache geschliffen. Das war so schön. Gequikt wie ein Schwein. Das war ein Geschenk von Allah.“

Warum hat die Öffentlichkeit so lange nichts erfahren?

Das Wort „Folterskandal“ macht nun die Runde. Flüchtlingsverbände, Politiker und Polizeigewerkschaften verurteilen die Tat, vom Imageschaden und Vertrauensverlust in die Polizei ist die Rede. „Die Vorwürfe gegen die Bundespolizei in Hannover sind erschütternd“, sagt etwa die Flüchtlingsbeauftragte des Bundes, Aydan Özoguz. „Wenn es zutrifft, dass ein Beamter Flüchtlinge gequält, sich damit gebrüstet und die Misshandlungen sogar noch dokumentiert hat, muss die Bundespolizei über den Einzelfall hinaus Konsequenzen ziehen.“

Abseits des Unverständnisses über die offenkundig rassistisch motivierten Taten kommt auch immer wieder die Frage auf, wie es sein kann, dass die Öffentlichkeit so lange nichts davon erfahren hat. Die Migrationsbeauftragte von Niedersachsen, Doris Schröder-Köpf (SPD), spricht von versagenden Kontrollmechanismen.

Für Dietmar Schilff, Chef der Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen, ist der Rückschluss auf schweigende Mitwisser bei der Polizei, die das Fehlverhalten von Kollegen ignorieren, unberechtigt. Aber es könne natürlich sein, dass Vorfälle innerhalb einer Dienstgruppe länger unter Verschluss gehalten würden. Offen ist bislang, ob sich weitere Polizisten an den Misshandlungen beteiligten. (dpa)