Berlin. . Skandal weitet sich aus. SPD kritisiert das Kanzleramt. Innenminister de Maizière (CDU) hüllt sich in Schweigen. Airbus erstattet Anzeige wegen Industriespionage-Verdacht

Es hört nicht auf. Die NSA-Affäre weitet sich aus. Laut „Spiegel“ hat der BND 12.000 Suchbegriffe gelöscht, mit denen hochrangige europäische Beamte, Politiker und Diplomaten für den US-Geheimdienst NSA ausgeforscht werden sollten. Der Flugzeughersteller „Airbus“ kündigte wegen des Verdachts der Industriespionage – auch dies steht im Raum – eine Anzeige gegen Unbekannt an.

Wer politisch die Schuld trägt, ist für Sahra Wagenknecht klar: Thomas de Maizière. „Ich finde, es sind schon Leute wegen wesentlich geringerer Delikte zurückgetreten“, sagte die Vizechefin der Linksfraktion. Der CDU-Mann soll gehen, weil er einst als Chef des Kanzleramts nicht die BND-Hilfe für die NSA-Spionage gestoppt und inzwischen als Innenminister das Parlament falsch unterrichtet habe.

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De Maizière ist in einer misslichen Situation. Er selbst spricht von einer „Schieflage“. Zum einen kann er sich schwer öffentlich rechtfertigen, weil es um Geheiminformationen geht. Zum anderen ist er ohnehin politisch angeschlagen, weil zuletzt schon das Fehlermanagement beim G-36-Sturmgewehr auf ihn zurückfiel. Auch hier holt ihn seine Vergangenheit ein, diesmal als Ex-Verteidigungsminister.

So ist aus einem Hoffnungsträger der Problembär der Union geworden. Viel lästiger als der Rufschaden ist, dass er keine schnelle Aussicht hat, die Vorwürfe auszuräumen. Es dürfte noch Wochen dauern, bis er die Chance bekommt, als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags vernommen zu werden.

Die Halbwahrheiten gegenüber dem Parlament gehen nicht auf seine Kappe. Die Antworten auf Fragen zur Industriespionage durch die NSA hat das Kanzleramt zu verantworten. Die Opposition nimmt Anstoß daran, dass die Regierung interne Hinweise verschwiegen hat und beteuerte, ihr lägen „keinerlei Erkenntnisse“ vor. Das muss sie eigentlich bald richtig stellen. Im Zweifel wird sich Amtschef Peter Altmaier (CDU) damit herausreden, dass ein Verdacht keine gesicherte Erkenntnis ist. Schon über den Begriff „Industriespionage“ lässt sich lange streiten. Dass die NSA die Konkurrenz von US-Unternehmen ausspähen würde, wurde stets vehement bestritten. Die Amerikaner wollen Unternehmen aus rein politischen Motiven beobachtet haben.

Maulkorb erlassen

Klar ist, dass sie die Kooperation mit dem BND dazu nutzten und dass man in Pullach die Lunte roch. Der „Spiegel“ berichtet darüber, wie ein Sachbearbeiter eine Suchdatei mit Begriffen wie „diplo“, „bundesamt“ und „gov“ durchsuchte und sogleich 12 000 Treffer landete; die Spuren führten vielfach zu europäischen Partnern. „Was soll ich machen“, schrieb der Beamte seinen Vorgesetzten. Die Antwort der Chefebene: „Löschen.“ Über den Verdacht, dass die NSA zu weit gehen könnte, hatte der BND früh, erstmals 2008 das Kanzleramt informiert – zu de Maizières Zeiten.

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BND-Präsident Gerhard Schindler kann sich kaum verteidigen. Das Kanzleramt hat Schindler einen Maulkorb verpasst. Der frühere Geheimdienst-Koordinator Bernd Schmidbauer (CDU) gibt durchaus eine Stimmung im Dienst wieder. Es sei eine „Schande“, wie Schindler „von diesen Herren im Kanzleramt“ im Stich gelassen werde. Stattdessen wäre es ihre vornehmste Aufgabe, ihm „den Rücken zu stärken“. Das Kanzleramt hätte bei den ersten Warnhinweisen die gemeinsamen Operationen mit den USA stoppen können. Das ist indes unrealistisch. Schmidbauer: „Wir sind nichts ohne die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse der Amerikaner. Wir wären blinde Hühner.“ Wenn also das Kanzleramt die Amerikaner gewähren ließ, dürfte es jetzt den BND im Regen stehen lassen?

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hat den Eindruck, dass die Aufsicht des Kanzleramts über den BND „kläglich versagt“ habe. Seit den ersten Enthüllungen fährt die SPD eine harte Linie. Kein Wunder. Das Kanzleramt wird seit zehn Jahren von der CDU geleitet.

Die Unruhe wächst

Im Bundestag wächst die Unruhe über das Krisenmanagement. Weder das Kontrollgremium (PKGr) noch der Untersuchungsausschuss haben bisher die Liste mit den unzulässigen Suchbegriffen gesehen. „Wir müssen einen Weg finden, dass die Kollegen im Untersuchungsausschuss und wir im Kontrollgremium sie zumindest so hinreichend bewerten können, um sagen zu können, was sich an Dimensionen dahinter verbirgt“, fordert PKGr-Mitglied Clemens Binninger (CDU). „ Darauf werden wir auch nächste Woche bestehen.“

Am Montag wird Schindler in Berlin auf einem öffentlichen Symposium zur Terrorismusabwehr erwartet. Er wird von den Medien belagert werden. Am Donnerstag will der Untersuchungsausschuss zwei hohe BND-Beamte vernehmen, einen Referatsleiter und einen Unterabteilungsleiter, bis zur Sommerpause dann auch Schindler und Innenminister de Maizière. Ausschuss-Vorsitzender Patrick Sensburg (CDU) machte klar, dass die Aufklärung Vorrang hat. Doch früher oder später stellt sich die Frage, wer die Verantwortung für Fehler, für falsche Strukturen trägt. Schindler ist hochgefährdet, wäre aber bloß das Bauernopfer. Wer, wer nur hält politisch den Kopf hin?