Berlin. Griechenland beziffert die Reparationsschuld auf 278,7 Milliarden Euro. Sigmar Gabriel nennt das Vorgehen der Regierung in Athen „dumm“.

Der Streit um griechische Reparationsforderungen an Deutschland wird heftiger: Athen beziffert die angebliche Reparationsschuld erstmals präzise auf rund 278,7 Milliarden Euro – fast so viel wie der Bund in einem Jahr ausgibt.

Die Zahlen

Der griechische Vize-Finanzminister Dimitris Mardas nannte die Summe von fast 280 Milliarden Euro nach einer Sitzung eines Parlamentsausschusses. Demnach geht es vor allem um Entschädigungszahlungen an Opfer der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg und Schadenersatz für die von den Deutschen damals zerstörte Infrastruktur.

Auf 10,3 Milliarden Euro wird zudem der Wert einer Zwangsanleihe beziffert, die Griechenland dem Nazi-Regime gewähren musste. Die Aufstellung haben Experten des Finanzministeriums und der Zentralbank erarbeitet. Ob die Athener Regierung die Rechnung als offizielle Forderung übernimmt, ist offen – doch prüfen auch die obersten Gerichte schon Schritte gegen Deutschland, etwa beim Internationalen Gerichtshof.

Die deutsche Reaktion

In der Bundesregierung stößt die Zuspitzung auf Unverständnis. Erst vor zwei Wochen hatte Ministerpräsident Alexis Tsipras Kanzlerin Angela Merkel in Berlin versichert, die Reparationsfrage sei in erster Linie kein materielles Thema, sondern ein moralisches.

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Das Finanzministerium in Berlin machte deutlich, dass die Regierung weiter alle Reparationsforderungen ablehnt und das Thema für abgeschlossen hält: „An unserer Position hat sich nichts geändert“, erklärte eine Sprecherin. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) wurde deutlicher: Dass Griechenland Reparationsforderungen mit der Lösung seiner Schuldenkrise verknüpfe, „finde ich ehrlich gesagt dumm“, so Gabriel. So werde es für Athen nicht einfacher, von den EU-Partnern Spielräume bei der Lösung der Finanzprobleme zu erhalten, Athen komme „keinen Millimeter voran“.

Der CSU-Abgeordnete Max Straubinger sagte, Griechenland mache sich mit der „unverfrorenen“ Forderung lächerlich. Nicht nur ihm stößt auf, dass die errechnete Summe wohl nicht zufällig in der Nähe der 240 Milliarden Euro liegt, die Griechenland an Hilfskrediten erhalten hat. Möglicherweise wolle Tsipras nur das heimische Publikum bei Laune halten, hieß es.

Die Rechtsfrage

In Griechenland wird seit Jahren eine Wiedergutmachung für massive Zerstörungen und zahlreiche Gräueltaten der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg verlangt. Tsipras treibt das populäre Thema jetzt voran. Die Bundesregierung argumentiert dagegen, Griechenland habe in den 60er Jahren bereits 115 Millionen D-Mark erhalten, die Ansprüche seien abgegolten oder nach so langer Zeit erloschen. Mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur Wiedervereinigung 1990 seien alle Reparationsfragen abgeschlossen – ohne das Griechenland damals Forderungen geltend gemacht hätte.

Einige Völkerrechtler warnen aber, die deutsche Position stehe auf wackligen Füßen, einem Verzicht habe Athen nie zugestimmt. Die Bundesregierung indes hatte die Rechtsposition 2014 noch einmal überprüft – nachdem Bundespräsident Joachim Gauck beim Staatsbesuch in Griechenland ungewöhnlich schroff mit den Forderungen konfrontiert worden war. Die Befürchtung ist, dass viele weitere ehemalige Kriegsgegner Ansprüche an Deutschland stellen, wenn mit Griechenland ein Präzedenzfall geschaffen würde.

Der Ausweg

Auch die Regierung stellt klar, dass sie zur moralischen Verantwortung für die Kriegsgräuel steht. Gabriel sagte, auch wenn die Reparationsdebatte formal abgeschlossen sei, werde es in Deutschland so bald keinen Schlussstrich geben. In der Regierung wird überlegt, als Versöhnungszeichen den deutsch-griechischen Zukunftsfonds und das gemeinsame Jugendwerk aufzuwerten, auch finanziell. Das soll jetzt in einer Arbeitsgruppe der beiden Außenministerien sondiert werden, eine neue Stiftung ist ebenfalls im Gespräch.

Die Linkspartei erklärte dagegen gestern, an formellen Entschädigungsverhandlungen zwischen Berlin und Athen führe kein Weg mehr vorbei. Die Grünen klagten, der Regierung fehle es bei diesem Thema an Sensibilität.