Essen/Erbil. . Jochen Schneider führt die deutsche Ausbildungsmission mit aktuell 29 Soldaten im Nordirak. Im Interview erzählt er, wie stark die Terrormiliz IS ist.
Oberst Jochen Schneider war der letzte deutsche Kommandeur des Feldlagers Kundus in Afghanistan. Jetzt führt er die deutsche Ausbildungsmission mit aktuell 29 Bundeswehrsoldaten im Nordirak. Im Interview erzählt er, was die Bundeswehr genau in der Kurdenhauptstadt Erbil macht, wie stark die Terrormiliz IS ist – und dass er Anschläge auf deutsche Soldaten für möglich hält.
Die Bundeswehr bildet seit Februar kurdische Peschmerga für den Kampf gegen die Terrormiliz IS aus. Wie läuft die Mission?
Oberst Jochen Schneider: Die Bundeswehr ist Teil einer Koalition aus etwa 60 Staaten, die die irakischen Sicherheitskräfte unterstützt und ausbildet. Das Kurdistan Training Coordination Center ist seit dem 8. Februar arbeitsbereit, am 15. haben wir bereits mit der Ausbildung von acht Infanteriezügen begonnen. Niederländische, italienische, britische und deutsche sowie norwegische und amerikanische Soldaten koordinieren nun die gesamte militärische Ausbildung für die Sicherheitskräfte in der Region Kurdistan-Irak im Kampf gegen die globale Bedrohung durch den Terror von ISIS.
Welche Fähigkeiten werden den kurdischen Peschmerga vermittelt?
Schneider: Das zuständige Ministerium der Peschmerga macht uns inhaltliche und zeitliche Vorgaben. Daraufhin planen wir die Ausbildung nach deren Wünschen aus. Im Wesentlichen sollen Waffen und Munition gezielter eingesetzt werden können. Die Peschmerga lernen, sich taktisch im Gelände auf der Ebene eines Zuges, also etwa 30 Soldaten, richtig zu verhalten. Auch Kenntnisse in Erster-Hilfe, beim Erkennen von Sprengfallen sowie Verhalten nach dem Kriegsvölkerrecht werden ausgebildet.
Wie lange dauern die Ausbildungseinheiten?
Schneider: Der infanteristische Kurs dauert vier Wochen. Wir bilden aber zusätzlich noch Spezialisten an Panzerabwehrwaffen, in der Beseitigung von selbstgebauten Sprengfallen, erweiterter medizinischer Hilfe oder in Materialerhaltung aus. Außerdem werden Ausbilder in all diesen und anderen Themen geschult. Teilweise geschieht das - zum Beispiel die Schulung an der MILAN - auch in Deutschland. Diese Kurse dauern etwa zwei Wochen.
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Wie viele Peschmerga sind bislang ausgebildet worden?
Schneider: Das Kurdistan Training Coordination Center hat seit Anfang Februar über 420 Peschmerga ausgebildet. Dabei sind nicht nur individuelle Fähigkeiten verbessert worden. Vor allem das Verständnis für gemeinsame, geplante Aktionen auf Zugebene haben wir geschult. Die Peschmerga haben erkannt: Nur wer die Initiative hat, kann etwas gewinnen. Im nächsten Kurs soll jetzt ein ganzes Bataillon mit insgesamt zwölf Zügen und das Führungspersonal ausgebildet werden. Dies schließt die Kompanie- und Bataillonsführung ein, um die Koordination der Kräfte auf allen Ebenen zu verbessern.
Die Peschmerga kämpfen an vielen Fronten. Wie schlagen sie sich?
Schneider: Die Peschmerga sind hoch motiviert und sehr engagiert. Sie sind offen für Neues und wollen lernen. Viele sind nach den langen Jahren kriegserfahren. Jedoch führen einfache Fehler im Verhalten häufig zu vermeidbaren Verlusten. Wir zeigen ihnen hier Möglichkeiten zur Verteidigung aus besseren Stellungen und den cleveren Einsatz der eigenen Kräfte und Mittel im Gefecht.
Sind die Peschmerga ausreichend ausgerüstet oder fehlt es noch an Material?
Schneider: Die Waffen und Ausrüstungsgegenstände insbesondere aus Deutschland verbessern deutlich die Schlagkraft der Peshmerga. Zum Beispiel kann die Panzerabwehrwaffe MILAN fahrende Sprengsätze, also mit Sprengstoff gefüllte Fahrzeuge, auf zwei Kilometer Entfernung mit einer Treffsicherheit von 100 Prozent zerstören. Das hat maßgeblich zum Erfolg der Peschmerga beigetragen. Früher fuhren solche Selbstmordattentäter in die Peschmerga-Stellungen, heute können die Peschmerga sie selbst stoppen. Das ist auch psychologisch wichtig. Munition für alle Waffen ist natürlich in diesem Kampf entscheidend.
Sind die deutschen Ausbilder gefährdet?
Schneider: Momentan ist an der Front sehr viel los. Die ISIS Kämpfer an der Frontlinie sind etwa 35 Kilometer von Erbil entfernt. In Tikrit toben Gefechte, ISIS kämpft und verteidigt mit allen Mittel, startet auch Gegenangriffe. Es hat im November 2014 einen versuchten Anschlag mit einem Sprengstoff-Auto in Erbil gegeben. Mit solchen Attacken von Einzeltätern oder kleinen Gruppen müssen wir hier immer rechnen. Ich glaube, dass die asymmetrische Bedrohung noch steigen wird, wenn sich jetzt die Ausbildung der Peschmerga vorne auswirkt. Wir haben entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen.
Über welche Ressorcen und Fähigkeiten verfügt der Gegner?
Schneider: ISIS ist sehr flexibel, gut ausgebildet und ausgerüstet. Sie in der Lage, in kleinem oder größeren Rahmen Aktionen zu starten, sie verfügen über unterschiedliche konventionelle Waffen. Sie nutzen sehr effizient die Medien auch für die Werbung neuer Kämpfer. Das Neue ist, dass sich die Zahl der Kämpfer, die sich von ISIS abwendet, erhöht.
Sie waren kürzlich in Afghanistan. Was unterscheidet Afghanistan vom Irak?
Schneider: Ich war der letzte deutsche Kommandeur in Kunduz und habe das deutsche Lager an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben dürfen. Ich habe alle meine Soldaten nahezu unversehrt aus Kunduz zurück nach Deutschland gebracht. Darüber bin ich froh und auch stolz. Ich freue mich nun über die neue Aufgabe. Nach dem Rückbau in Kunduz geht es nun um den Aufbau in Erbil. Ich habe hier ein tolles internationales Team und sehe großartige Fortschritte, die wir hier täglich erreichen. Dafür bedanke ich mich an dieser Stelle bei den Kameraden schon jetzt.