Essen. . Kraftakt von Bund und Land: Oliver Wittke und Thomas Kufen (CDU) fordern einen Soli für das Ruhrgebiet und andere bedürftige Regionen. Ein Interview.

Was wird aus dem Revier? Die WAZ hatte dies zuletzt den Sprecher der Ruhr-SPD, Frank Baranowski, gefragt. Heute fordern die Spitzen der armen Städte in Berlin Hilfe vom Bund ein. Wir wollten von CDU-Politikern wissen, was das Ruhrgebiet braucht: Oliver Wittke (Bundestag, Chef der CDU Ruhr) und Thomas Kufen (Landtag, OB-Kandidat in Essen).

16 Prozent in Hamburg: Kann die CDU in Großstädten keine Wahlen mehr gewinnen?

Oliver Wittke: So schlecht läuft es nicht. Wir haben in Dortmund bei der OB-Wahl zuletzt 48,6 Prozent geholt und in Essen den Abstand zur SPD halbiert auf 2,5 Prozent.

Thomas Kufen: Die Union als Volkspartei muss „Stadt“ und „Land“ können. Es reicht nicht, wenn ein CDU-Kandidat den Unterschied zwischen Lions und Rotary kennt. Er muss genauso die Tafeln oder die Bahnhofsmission besuchen und sich auch für die Stadtteile einsetzen, in denen die Union traditionell nicht so stark ist. Auch Leistungen von allein erziehenden Müttern oder Migranten muss er beispielsweise kennen und wertschätzen können. Ich bin mir sicher, dann klappt es auch in der Stadt.

Die CDU als Partei für Zuwanderer?

Kufen: Integration ist an der Ruhr eine Erfolgsgeschichte, das Thema Islam bewegt die Menschen trotzdem. Weit über 90 Prozent der Muslime leben gern hier, finden die Demokratie gut, sind für Gleichberechtigung. Die wenigen anderen stellen sich außerhalb unserer Gesellschaft, wecken Ängste und Sorgen.

Wittke: Der türkischstämmige Polizist, der für unsere Werte- und Rechtsordnung eintritt, ist die beste Werbung für Integration. Eine Volkspartei kann es sich nicht leisten, Millionen Menschen auszugrenzen. Wir sind ja nicht in allen Themen vorne im Ruhrgebiet. Aber bei Integration sind wir die Besten.

Die Städte müssen immer mehr Flüchtlinge aufnehmen.

Kufen: Die Zahl der Flüchtlinge könnte sich allein in Essen auf über 6000 verdoppeln, wenn noch mehr Menschen aus den Westbalkanstaaten kommen. Menschen, die fast keine Perspektive für ein Bleiberecht in Deutschland haben. Die Unterbringung in Turnhallen müssen wir vermeiden. Die Grenze der Aufnahmefähigkeit sollten wir besser nicht austesten. Daher müssen die Revier-OBs in Berlin auf eine Visumpflicht für die Westbalkanländer dringen.

Wittke: Und wir benötigen ein Gesetz, das die Zuwanderung nach Deutschland regelt. Dass wir qualifizierte Zuwanderung brauchen, steht außer Frage.

Kann das Ruhrgebiet auf frisches Geld hoffen, wenn der bisherige „Soli“ 2019 ausläuft?

Wittke: Dieses Geld darf nicht „mit der Gießkanne“ über Deutschland ausgeschüttet werden, sondern muss für bedürftige Regionen zur Verfügung stehen. Wenn wir das, wie angedacht, über die Einkommen- und Körperschaftssteuer verteilen, dann scheißt der Teufel wieder auf den größten Haufen: Städte mit hohem Einkommensteueraufkommen wie Düsseldorf und München bekämen viel, Bottrop und Herne wenig – das geht nicht.

Kufen: Die Forderung des Initiativkreises Ruhr nach einem „Handlungsplan Ruhr“ finde ich erstmal gut. Die Region braucht mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Unsere armen Städte sparen bei Instandhaltung von Straßen, Brücken und Gebäuden. Kitas und Schulen vergammeln. Beim Öffentlichen Nahverkehr gibt es einen riesigen Sanierungsstau. Das schreit nach einem Kraftakt von Bund und Land. Allein in Essen werden in den nächsten 15 Jahren 400 Millionen Euro nur für Instandhaltungen beim ÖPNV gebraucht.

Wittke: Ein „Ruhr-Plan“ geht mir zu weit. Wir können nicht die Förderung nach Himmelsrichtung kritisieren und gleichzeitig eine „Lex Ruhrgebiet“ fordern. Man muss alle bedürftigen Regionen fördern: das Revier, Bremerhaven, den Nordosten Bayerns, Frankfurt/Oder...

Brauchen arme Revierstädte einen Schuldenschnitt mit Bundes-Hilfe?

Wittke: Das wäre der letzte Schritt. Vorher müssen andere Reformen kommen. Derjenige, der Sozialkosten beschließt, muss dafür geradestehen. Bei der Eingliederungshilfe und den Kosten der Unterkunft – beide belasten die Revierstädte sehr – steht der Bund in der Pflicht. Bei der Flüchtlingsunterbringung muss sich das Land NRW seiner Verantwortung stellen. In Bayern und anderen Ländern gibt es eine 100-Prozent-Übernahme der Flüchtlingskosten. NRW übernimmt nur 20 bis 30 Prozent. Heißt: Die Kommunen bleiben auf 70 bis 80 Prozent der Kosten sitzen. Und nicht zuletzt müssen die Städte selbst weiter sparen.

In Westfalen wird Kritik laut an der Idee, den Regionalverband Ruhr aufzuwerten und das „Ruhrparlament“ künftig direkt wählen zu lassen. War damit zu rechnen?

Wittke: Die Vorbehalte kann ich nicht nachvollziehen. Es geht nicht darum, jemandem etwas wegzunehmen oder neue Grenzen zu ziehen, sondern um die Beseitigung eines Missstandes: Die Revierstädte haben zu oft gegeneinander gearbeitet. Bald werden sie Kompetenzen auf den RVR übertragen können, und das fördert Zusammenarbeit.

Kufen: Das Revier muss sich neu und anders organisieren. Andere können das ja gerne nachmachen. Wir wollen zurück zu alter Stärke. Als Einzelkämpfer können wir nicht bestehen. Es lässt mich nicht ruhen, wenn es heute in Südwestfalen mehr Industrie-Arbeitsplätze gibt als im Ruhrgebiet. Industrie heißt eben nicht nur Dreck, sondern auch High-Tech. Wir wollen raus aus den Negativ-Schlagzeilen, und das RVR-Gesetz ist der Hebel dazu. Der Landtag muss jetzt schnell darüber entscheiden.

Brauchen wir überhaupt ein direkt von den Bürgern gewähltes Ruhrparlament?

Wittke: Die Bezirkstage in Bayern werden alle direkt vom Volk gewählt. Wenn der RVR Entscheidungen treffen soll, die bisher Stadträte getroffen haben, dann muss auch der RVR direkt demokratisch legitimiert sein.

Womit könnten die Städte den RVR beauftragen?

Wittke: Die Städte könnten ihr Vermessungs- und Katasterwesen auf den RVR übertragen. Wenn Liegenschaftskataster zusammengeführt werden und Investoren diese regionalen Infos zur Verfügung stellen, dann haben alle etwas davon. Man könnte die Energiewende mithilfe des RVR beschleunigen, die Fernwärmenetze in der Metropole Ruhr verknüpfen.

Kufen: Aktuell kann sich nur Essen als „Grüne Hauptstadt Europas“ bewerben. Mit einem neuen RVR-Gesetz hätte die ganze Region sich bewerben können.