Moskau/Minsk. . Kurz vor dem Friedensgipfel droht der ukrainische Präsident mit dem Kriegsrecht. Eine neue Waffenruhe könnte so löchrig sein wie die alte.

Dem möglichen Frieden wollte bis zuletzt niemand wirklich trauen. Der ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko selbst drohte, bevor er nach Minsk abflog, am Mittwoch noch mit dem Kriegsrecht, „falls die verantwortungslosen Handlungen des Aggressors zu einer weiteren ernsthaften Eskalierung des Konflikts führt“. Es war eine Anspielung auf die Raketenangriffe gegen das ukrainische Hauptquartier im Donbass, bei denen in der Stadt Kramatorsk mindestens acht Menschen starben.

Tatsächlich drohen auch der neuen Friedensinitiative zahlreiche Gefahren. Angefangen damit, dass sie wie der erste, im September in Minsk ausgehandelte Waffenstillstandsvertrag, keineswegs ein militärisches Patt auf dem Schlachtfeld besiegelt. Damals waren nach einem massiven Gegenstoß russischer Truppen mehrere tausend Ukrainer bei Ilowaisk eingekesselt und aufgerieben worden.

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Und die Separatisten hofften auf eine Großoffensive zur „Befreiung“ aller Städte und Dörfer in den Verwaltungsgrenzen der Donezker und Lugansker Regionen. Auch jetzt sind die Fronten in Bewegung, gerade erst haben die Rebellen bei Debalzewo mindestens 5000 Ukrainer eingekreist, aber in anderen Frontabschnitten wird ebenso heftig gekämpft. Die aktiven Kämpfer beider Seiten sind lange noch nicht kriegsmüde, die moralisch keineswegs gebrochenen Ukrainer wollen Revanche für ihre Niederlagen.

Niemand hielt sich an Minsker Vorgaben

Die neue Waffenruhe könnte von Anfang an löchrig bleiben, wie die im September. Damals stellten zwar beide Seiten den großkalibrigen Artilleriebeschuss ein, aber niemand hielt sich an die Minsker Vorgabe, seine schweren Geschütze 15 Kilometer hinter die Demarkationslinie zurückzuziehen. Und bei den ersten kleineren Zusammenstößen eröffneten auch sie wieder das Feuer.

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Fraglich ist auch, wie die neue Demarkationslinie verlaufen soll, gerade auf dem chaotischen Schlachtfeld von Debalzewo. Auf beiden Seiten kämpfen Freiwilligenbataillone, die durchaus willens sein könnten, auf eigene Faust weitere Feindseligkeiten anzuzetteln – unabhängig von allen Beschlüssen.

Zudem bewegen sich in den Rebellengebieten des Donbass russische Freiwillige und russische Truppen mit schwerer Kriegstechnik nach Belieben. „Der Aggressor hat freie Hand“, schimpft der Kiewer Politologe Viktor Samjatin. „Und ich zweifle daran, dass in Minsk wirklich ein Abkommen zustande, das dem ein Ende macht.“

Was Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande Kremlchef Wladimir Putin womöglich für Frieden in der Ukraine anbieten werden, ist offen. Möglicherweise legen sie ihm noch einmal die Bildung einer gemeinsamen Freihandelszone der EU und eurasischen Wirtschaftsunion aus Russland, Weißrussland, Armenien und Kasachstan nahe.

Obama-Telefonat mit Putin

Sollten die Verhandlungen aber scheitern oder die Vereinbarungen gebrochen werden, dürfte die EU schnell die Sanktionen gegen Russland verschärfen. Es werden weiter Menschen in der Ukraine sterben und der Konflikt zwischen Ost und West brisanter.

In Washington heißt es, dass US-Präsident Barack Obama dann dem innenpolitischen Druck kaum noch standhalten könnte und auf Forderungen nach Waffenhilfe für Kiew eingehen müsste. Für Merkel eine katastrophale Gewaltspirale.

Obama wolle keine Waffenlieferungen, heißt es. Er greift kurz vor dem Gipfel noch zum Telefon, um mit dem russischen Präsidenten Putin zu reden. Es ist das erste Gespräch der beiden seit langem. Beide betonen ihre Positionen. Alles wie gehabt.