Zehntausende protestieren nach Attentat in Paris - " Ich bin Charlie"
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Paris. . Nach dem Attentat auf die Satire-Zeitschrift “Charlie Hebdo“ in Paris gehen Zehntausende auf die Straße als Zeichen der Solidarität mit den Opfern.
Das Attentat auf die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ hat das Land geschockt – doch schon wenige Stunden nach dem Massaker wandelte sich der Schock in Trotz: Zehntausende Franzosen gingen am Abend in Paris, Nizza, Lyon und vielen anderen Städten im ganzen Land auf die Straße und hielten eilig gemalte oder kopierte Plakate in die Luft. Die gemeinsame Botschaft: „Je suis Charlie“ – Ich bin Charlie.
Frankreich rückt zusammen. Die Ermordung von zwölf Menschen in und vor der Redaktion des Satire-Magazins im Herzen von Paris scheint die Grande Nation zu einen. Auf vielen Plätzen wie dem Platz der Republik in Paris legten die Menschen Blumen nieder oder zündeten Kerzen zum Gedenken an die Toten an. Viele hielten Kugelschreiber in die Höhe – als Zeichen für Presse- und Meinungsfreiheit. Auch in anderen europäischen Städten wie Berlin und London versammelten sich Menschen aus Trauer und als Zeichen der Solidarität.
Die Zeitung "Le Figaro" meldet am Abend, es handle sich bei den Verdächtigen um Männer im Alter von 18, 32 und 34 Jahren. Angeblich sei der älteste der drei bereits mehrfach verurteilt worden. Er habe angeblich Kontakte zu einem Dschihad-Netzwerk im Irak; andere Medien berichten, die drei Männer seien erst vor einem halben Jahr aus Syrien nach Frankreich zurückgekehrt. Zuletzt hätten sich die Verdächtigen angeblich in der nordfranzösischen Stadt Reims aufgehalten, einer der drei solle von dort stammen. "Libération" berichtet am Abend, die Verdächtigen seien "identifiziert und lokalisiert". Es handelt sich um die Brüder Said und Cherif K.. Der weitere Täter heiße angeblich Hamyd M.
Ein mutmaßlicher Helfer der Attentäter stellte sich in der Nacht der Polizei. Er bestreitet nach Medienangaben allerdings, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Er sei zur Polizei gegangen, weil sein Name im Zusammenhang mit dem Anschlag in sozialen Netzwerken genannt worden sei.
Vermummte schossen in Redaktion mit Kalaschnikows um sich
Für die Franzosen wird es lange dauern, bis sie verkraftet haben, was sich an diesem Mittwochvormittag abgespielt hat. Augenzeugen sprachen später von einem Kommandounternehmen wie aus einem Hollywood-Film: Kurz nach elf Uhr stürmen am Mittwochvormittag zwei vermummte Männer in schwarzer Kleidung die Redaktionsräume der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und schießen mit Kalaschnikows wild um sich. Zehn Menschen sterben in dem Kugelhagel, mindestens sechs werden schwer verletzt. Unter den Toten sind auch vier Karikaturisten und der Herausgeber der Zeitschrift, die immer wieder den Propheten Mohammed und den Islam aufs Korn genommen hat.
Die Attentäter sollen „Allah ist groß“ und „Wir haben den Propheten gerächt“ gerufen haben, heißt es. In dem Redaktionsgebäude bricht Panik aus. Die Angestellten verstecken sich unter den Tischen oder fliehen durch die Flure auf das Dach des Hauses.
Zehntausende sagen "Ich bin Charlie"
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Ein Amateurfilmer dokumentiert, wie zwei Vermummte nach der Schießerei auf die Straße laufen, es fallen wieder Schüsse. Ein Polizist ist sofort tot, ein anderer angeschossen. Der Film zeigt, wie einer der Täter auf den am Boden liegenden Beamten zuläuft und ihm in den Kopf schießt. Die Männer steigen in den Kleinwagen und fahren davon. Später wird klar: Wenige Straßen weiter wechseln sie ihr Fluchtfahrzeug und steigen in einen silbernen Renault um. Erneut fallen Schüsse.
3000 Sicherheitskräfte machen Jagd auf die Mörder
Die Polizei spricht später von drei Attentätern, die auf der Flucht seien. Ob der dritte Mann im Gebäude war oder im Fluchtwagen wartete, ist unklar. Die Polizei sperrt das Gelände im 11. Arrondissement weiträumig ab. 3000 Sicherheitskräfte machen Jagd auf die Mörder. Die Zeitung „Le Figaro“ berichtet, die Zeichnerin „Coco“ sei vor dem Redaktionsgebäude auf zwei der Bewaffneten getroffen, die sie brutal bedrohten. „Sie wollten ins Haus. Ich habe den Code eingegeben“, berichtet die Frau. Die Schießerei habe fünf Minuten gedauert. Sie sah mit an, wie die Vermummten auf zwei ihrer Kollegen schossen und flüchtete in ihr Büro. Die Männer, so sagt sie, hätten sich auf Al-Kaida bezogen und in akzentfreiem Französisch gesprochen.
Keine 40 Minuten später trifft Staatspräsident Hollande am Tatort ein. Erschüttert verurteilt er „diesen barbarischen Akt, diesen Terroranschlag“. Danach ruft er die Franzosen auf, geschlossen zu bleiben angesichts der „schwierigen Situation, in der sich unser Land aufgrund der terroristischen Bedrohung befindet“. Die Behörden vermuten, dass radikale Islamisten für das Massaker verantwortlich sind. Die Redaktion von „Charlie Hebdo“ nimmt für sich in Anspruch, mit „humorvollen Attacken gegen den religiösen Terror“ von allen Seiten zu kämpfen. Radikale Islamisten haben die Redaktionsräume bereits im November 2011 in Brand gesteckt, nachdem die Zeitschrift eine „Scharia“-Sonderausgabe unter dem „Chefredakteur Mohammed“ veröffentlicht hatte. Seither stand das Gebäude unter Polizeischutz.
Attentäter ermordeten berühmte Karikaturisten
Die vier Zeichner Charb, Wolinski, Cabu und Tignous, die beim Anschlag von Paris getötet wurden, gehörten zu den besten Karikaturisten Frankreichs.
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CHARB
"Ich würde sie ja gern einstellen, aber ich habe was gegen die Farbe ihrer... - äh - ... Krawatte", sagt ein Personalchef zu einem schwarzen Bewerber, der traurig blickt. Stéphane Charbonnier alias Charb, Jahrgang 1967 und Verlagsleiter des "Charlie Hebdo", hat sich mit respektlosen Kampagnen für die Chancengleichheit von Zuwanderern eingesetzt. In Frankreich recht bekannt ist seine Comicserie "Maurice et Patapon". Maurice ist ein bisexueller anarchistischer Hund, der Exkremente liebt und lüstern ist. Patapon ist eine asexuelle Katze mit faschistischen Ansichten, die Tod und Leiden schätzt, aber nur bei anderen. Charbs Kolumne in "Charlie Hebdo" hatte den Titel "Charb n'aime pas les gens" ("Charb mag die Menschen nicht").
WOLINSKI
Georges Wolinski, 1934 im nordafrikanischen Tunis geboren, zeichnete seit mehr als 50 Jahren. Neben der "Charlie Hebdo" gehörten auch die sozialistische Parteizeitung "L'Humanité" und die inzwischen eingestellte Tageszeitung "France Soir" zu seinen Auftraggebern. Sein bekanntestes Werk ist die Serie "Paulette", die er in den frühen 70er Jahren als Autor mit dem Zeichner Georges Pichard entwickelte. Die Titelheldin ist eine junge Milliardenerbin, die Vergewaltigern und Folterknechten in die Hände fällt. In vielen Karikaturen Wolinskis spielt der Kampf der Geschlechter eine große Rolle. In einer zeigt eine Frau in durchsichtiger Unterwäsche stolz das Wort "Freiheit", das als Handschelle ihre Hände zusammenkettet.
CABU
Jean Cabut, Jahrgang 1938, war ein Grandseigneur der Comicszene. In der Kultzeitschrift "Pilote" begann seine Serie "Le Grand Duduche" bereits 1963. Sein junges Alter Ego mit Seitenscheitel, Nickelbrille, Jeans und Basketballschuhen machte Cabu bekannt. Die Comicfigur geht mit der Zeit, wird schließlich Anhänger der Umweltbewegung und macht unangenehme Erfahrungen mit Polizeigewalt. Cabu - inzwischen bei "Charlie Hebdo" und "Le Canard Enchaîné" Zeichner - ähnelte seinem jüngeren Helden auch noch optisch sehr stark, als er auf die 80 zu ging. Eine seiner Karikaturen war überschrieben mit: "Es gibt keinen Gott!" Darunter stehen der Papst, ein Mullah und ein Mann mit dem typischen Hut jüdischer Orthodoxer, alle drei schwer bewaffnet. Der Mann mit dem Turban droht: "Doch!"
TIGNOUS
Bernard Verlhac, Künstlername Tignous, wurde 1957 geboren. Auch er setzte auf eine drastische Bildsprache. Bei einer Karikatur steht ein dicker Europäer mit saurer Miene am Stacheldraht der EU-Außengrenze. Hinter der Absperrung wartet eine große Menge schwarzer Menschen. "Kaum lässt man Amadou und Miriam (bekannte Weltmusiker aus Westafrika) herein, ist das hier ein Saustall!" (dpa)
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Präsident Hollande stellte Großraum Paris unter Terroralarm
Auch der Herausgeber und Redaktionsleiter von „Charlie Hebdo“ gehört zu den Opfern des Anschlags. Stéphane Charbonnier hat immer auf die Pressefreiheit gepocht und erklärt, sich „niemals“ einer radikalen Minderheit zeugen zu wollen. „Wir veröffentlichen Karikaturen über jeden und alles. Aber wenn es um den Islam geht, werden wir stets am schärfsten angegriffen“, schimpfte Charbonnier und erklärte einmal: „Ich habe keine Kinder, keine Frau, kein Auto, keinen Kredit. Es ist vielleicht ein wenig schwülstig, was ich jetzt sage, aber ich ziehe es vor, aufrecht zu sterben als auf Knien zu leben.“ Charbonnier wurde auch persönlich bedroht und hatte einen Leibwächter. Auch er soll unter den Toten sein.
Anschläge von Islamisten in Frankreich
Dezember 2014
Polizisten erschießen im zentralfranzösischen Joué-lès-Tours einen Mann, der mit "Allahu Akbar"-Rufen ("Gott ist groß") in ein Kommissariat stürmt und mit einem Messer drei Polizisten verletzt. Die Ermittler gehen von einer radikalislamisch motivierten Tat. Der Überfall erinnere an Taten, zu denen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aufrufe.
Oktober 2012
Bei einem Anti-Terroreinsatz in mehreren französischen Städten erschießt die Polizei den 33-jährigen Dschihadisten Jeremy Sidney in Straßburg und nimmt elf weitere mutmaßliche Islamisten fest. Sidney und seine Kumpane werden für einen Anschlag auf ein jüdisches Geschäft verantwortlich gemacht.
März 2012
Der Attentäter Mohamed Merah erschießt in einer Mordserie insgesamt sieben Menschen. Unter ihnen waren drei Kinder und ein Lehrer einer jüdischen Schule. Augenzeugen berichten, der Täter habe mit einer Minikamera gefilmt und sei geflohen. Bevor der Mann nach rund 32-stündiger Polizeibelagerung seiner Wohnung bei einer Schießerei getötet wurde, hatte er sich als Al-Kaida-Anhänger und Mudschaheddin (Gotteskrieger) bezeichnet.
November 2011
Unbekannte verüben einen Brandanschlag auf die Redaktion des französischen Satireblattes "Charlie Hebdo". Es brachte am gleichen Tag ein Sonderheft zum Wahlerfolg der Islamisten in Tunesien heraus und hatte sich dazu in "Scharia Hebdo" umbenannt. Als Chefredakteur war "Mohammed" benannt worden. Das Magazin hatte 2006 die umstrittenen Mohammed-Karikaturen aus Dänemark nachgedruckt und bereits in dem Zusammenhang Drohungen und eine Klage erhalten.
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Es gab Warnungen. Fünf Anschläge sollen in den vergangenen Monaten in Frankreich vereitelt worden sein. Besonders die Drohungen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die in Syrien und Irak kämpft, sorgte für Unruhe. Die Sicherheitsdienste betonten, es sei nicht mehr die Frage ob ein Anschlag stattfinde, sondern nur noch wann und wo.
Flaggen in Frankreich am Donnerstag auf Halbmast
Frankreichs Präsident François Hollande hat nach dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" nationale Trauer am Donnerstag sowie drei Tage Halbmast-Beflaggung angeordnet. In einer kurzen Fernsehansprache an die Franzosen sagte er am Mittwochabend, die Freiheit und die Vorstellung von Gerechtigkeit und Frieden seien im Visier der mutmaßlich drei Attentäter gewesen.
"Unsere beste Waffe ist unsere Einheit, die Freiheit wird immer stärker sein als die Barbarei", sagte Hollande in seiner Ansprache. Frankreich werde auf das "feige Attentat" angemessen antworten und die Täter fassen, sie richten und hart bestrafen.
Hollande würdigte die vier Zeichner und Karikaturisten unter den mindestens zwölf Opfern. Sie seien für die Freiheit gestorben und nun die Helden Frankreichs. An diesem Donnerstag sind nach Hollandes Worten alle Franzosen aufgerufen, an der nationalen Trauer um die Opfer teilzunehmen. Der Staatschef würdigte auch die internationale Solidarität, die das Land nach dem schweren Attentat erfahren habe. (mit dpa)
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