Washington. . Nach den tödlichen Vorfällen in Ferguson, Cleveland und New York sollen US-Polizisten neu lernen, in heiklen Situationen ruhig zu handeln.

Für William Bratton muss es ein seltsames Déjà-vu sein. Als Ende der 90er-Jahre in New York die beinharte „Null-Toleranz“-Politik des damaligen Bürgermeisters Rudy Guiliani für einen drastischen Rückgang der Kriminalität gesorgt hatte, erreichte gleichzeitig die Zahl der Beschwerden über ausufernde Polizeigewalt Höchststände.

Bratton war damals wie heute Polizeichef der Millionen-Metropole, die seit dem Fall Eric Garner (neben Ferguson, Cleveland, Phoenix und anderen Städten) im Feuer der Kritik steht. Dass ein Polizist straffrei ausgeht, der einen unbewaffneten Schwarzen wegen einer Nichtigkeit auf offener Straße zu Tode würgt, hat den Nerv vieler Amerikaner getroffen. Kurz darauf wurde bekannt, dass der 28-jährige Akai Gurley, ebenfalls schwarz, im Stadtteil Brooklyn „aus Versehen“ erschossen wurde. Der Polizist Michael Lang hat sich in einem dunklen Hausflur gefürchtet.

Mit jeder tödlichen Begegnung schwindet das Vertrauen

Mit jeder tödlich endenden Begegnung zwischen Ordnungsmacht und gesellschaftlichen Minderheiten (Schwarze, Latinos, Obdachlose) schwindet das Vertrauen der Bevölkerung in die, die sie schützen sollen, ein Stück mehr, sagt Brattons neuer Vorgesetzter. Bürgermeister Bill De Blasio will das Heer der 35 000 Cops im „Big Apple“ mit Hilfe eines 35 Millionen Dollar teuren Programms umerziehen. Die Beamten sollen neu lernen, heißt es in City Hall, „wie man auf der Straße auftritt, mit Bürgern spricht, Tatverdächtige behandelt und heikle Situationen ohne den tödlichen Gebrauch der Schusswaffe entschärft“.

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Der Kurswechsel, der im ganzen Land mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird, geht auf Schwachstellen im System zurück, die exemplarisch der Fall Michael Brown in Ferguson/Missouri offengelegt hat. Als Officer Darren Wilson die tödlichen Schüsse auf den 18-jährigen Schwarzen abgab, war nach Ansicht von Rechtsexperten bereits so gut wie klar, dass kein Staatsanwalt und keine Geschworenen-Jury aus der näheren Umgebung den Schützen strafrechtlich belangen würden.

Landauf, landab, das zeigen Statistiken, nehmen Polizisten in solchen Fällen pauschal ein situatives Notwehrrecht in Anspruch, das nicht in Zweifel gezogen wurde. „Ein Staatsanwalt beißt nicht die Hand, die ihn füttert“, sagt der Politikwissenschaftler Dr. Jason Johnson. Was aber, wenn der Ursprung der Konfrontation - im Fall Brown war es die lapidare Tatsache, dass er nicht auf dem Bürgersteig ging, bei Eric Garner war es die Mutmaßung, dass er verbotenerweise Zigaretten verkauft - die spätere Eskalation niemals legitimieren kann?

Officer wird zum Sinnbild einer fragwürdigen Polizei-Routine

Wer das Video von Garners Ende gesehen hat, kann nachvollziehen, warum Officer Daniel Pantaleo das hässliche Sinnbild einer Polizei-Routine geworden ist, der das menschliche Maß abhanden gekommen ist. Dass der Beamte, der bereits vorher bei Einsätzen durch Maßlosigkeit aufgefallen war, Kind eines Systems ist, das vor über 20 Jahren eingeübt und gerade in New York noch bis vor wenigen Monaten bis zum Exzess exerziert wurde, geht dabei leider unter.

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Auf Anweisung des früheren Bürgermeisters Michael Bloomberg praktizierte das NYPD wie keine andere Polizeibehörde im Land die Strategie des „Stop & Frisk“. Nach dem Prinzip des „racial profiling“, die Schwarze und andere Minderheiten potenziell als verdächtig und kriminell annimmt, wurden pro Jahr trotz sinkender Kriminalitätsraten Hunderttausende meist jüngere Afro-Amerikaner und Latinos (aber kaum Weiße) in New York verdachtsunabhängig auf der Straße angehalten, durchsucht und erkennungsdienstlich behandelt. Fast 90 Prozent von ihnen waren unschuldig.

Wer einmal Augenzeuge einer solchen Demonstration der Demütigung und Einschüchterung wurde, kann verstehen, warum afro-amerikanische Mütter ihren Söhnen einbläuen, sich in solchen Situation niemals zu wehren oder aufmüpfig zu werden. Es könnte am Ende den Tod bedeuten.

„Polizei-erzeugter Handlungsdruck“ als Ursache?

„Polizei-erzeugter Handlungsdruck“, sagt Brian Buchner, Chef einer Organisation, die aus ziviler Perspektive das Verhalten der Polizei analysiert, ist das häufigste Probleme in Einsätzen, die tödlich enden. Wer das Gegenteil will, müsse nicht nur „Techniken erlernen, die deeskalieren, bevor es zu spät ist“. Sondern einen Sinneswandel einleiten, der Schwarze nicht unter Generalverdacht stellt und den Griff zur ultimativen Gewalt zur einer Art Gewohnheitsrecht werden lässt.