Riad. . Saudi-Arabien lässt zum Tode Verurteilten öffentlich den Kopf abschlagen – und praktiziert damit als einziger Staat die gleiche Hinrichtungsart wie die Barbaren des „Islamischen Staats“. Nach der Hinrichtung werden schnell die blutigen Spuren beseitigt – und der Ort des Geschehens wieder zum Spielplatz für Kinder.

Ein heißer Windstoß fegt über den Al-Safah-Platz, treibt leise schmirgelnd einen leeren Papp­karton vor sich her. Versteinert steht die etwa tausendköpfige Menge hinter den Absperrgittern und verfolgt mit den Augen die beiden großen, schlanken Gestalten in weißen ­Gewändern, wie sie zur Mitte des Platzes schreiten. Hüfthohe, silbrige Krummsäbel blitzen in ihren Händen. Die Augen sind hinter Sonnenbrillen verborgen, Mund und Nase verhüllt, der Kopf mit dem üblichen Kufiya-Tuch bedeckt.

Langsam rollt der grau-blaue Kleintransporter rückwärts heran, die hintere Ladetür wird geöffnet. Auf den grauen Steinplatten, wo bis zum Mittag noch Jungen lärmend Fußball spielten und Springfon­tänen plätscherten, sind zwei Areale mit mehrere Lagen aus rötlichen Decken ausgelegt. Auf den um­liegenden Dächern recken sich Scharfschützen, an den Ecken des Platzes liegen Lautsprecher aus für die beiden Todesurteile des Tages.

Kein Verständnis für Bedenken und Kritik

Es ist kurz vor 16 Uhr an diesem Freitag. Helfer stützen die beiden Todeskandidaten bei ihren letzten Schritten auf Erden. Ihre Hände sind auf den Rücken gefesselt, über die Gesichter breite, graue Tücher geknotet. Einen Moment mustert der Henker konzentriert sein flach kniendes Opfer, drückt mit dem ­linken Zeigefinger den frei gelegten Hals noch ein wenig nach unten. Dann saust das Krummschwert ­herab.

Hastig werden über die blechernen Lautsprecher Name und Taten des Hingerichteten heruntergeleiert, während der Scharfrichter bedächtig seine Klinge mit einem weißen Tuch abwischt. Der geköpfte Saudi Abdullah Al-Qassim soll einen Mann erdrosselt, der Minuten später exekutierte Jemenit Khadr Al-Tahiri sein Opfer mit Säure übergossen und zu Tode geätzt haben.

Die Zuschauer auf dem Al-Safah-Platz haben für Bedenken und ­Kritik kein Verständnis, die sie als typisch westliche Bevormundung empfinden. „Leute wissen, wo sie bei uns dran sind. Sie bekommen ihre gerechte Strafe – das dient der Sicherheit unseres Landes“, sagt ein fülliger Saudi in traditioneller Kleidung. Ein älterer Herr mit schütterem Haar, abgewetztem Trainingsanzug und goldfarbenem Brillen­gestell gesellt sich dazu. „Ich bin ­undercover hier“, kokettiert der 66-Jährige in makellosem Englisch. Seinen Vornamen gibt er mit Aziz an und stellt sich als pensionierter Geheimdienst-General vor, der ganz in der Nähe wohne. 42 Jahre lang war er Agent, spezialisiert auf das Entschärfen von Bomben, wie er sagt, zuletzt arbeitete er als ­Dozent bei der Staatssicherheit. In den 80er-Jahren als junger Leutnant habe er saudische Geldkoffer eigenhändig nach Afghanistan zu Osama bin Laden und dessen Gefolgs­leuten gebracht.

„Was wir tun, geschieht nach Recht und Gesetz des Islam“

Parallelen zwischen der offiziell ­lizensierten archaischen Strafpraxis der saudischen Monarchie und ihren Nachahmern vom „Islamischen Kalifat“, die bisher vier west­lichen Geiseln vor laufender Kamera die Köpfe abschnitten, wollen Geheimdienstveteran Aziz und ­andere Umstehende nicht gelten lassen. „Was IS macht, sind Ver­brechen, was wir tun, geschieht nach Recht und Gesetz des Islam“, deklamieren sie. Außerdem seien Enthauptungen humaner und weniger qualvoll als Giftspritze oder elektrischer Stuhl.

So professionell der „Islamische Staat“ seine Horror-Videos für das Internet inszeniert, so generalstabsmäßig plant die Heimat des Propheten Mohammed seine öffentlichen Enthauptungen. Kurz nach dem Freitagsgebet in voller Mittagshitze schwärmt bereits das erste Dutzend braun-weißer Polizeijeeps auf den Al-Safah-Platz und postiert sich an dessen Rändern. Am Schluss sind es über 50 Fahrzeuge. Die Bereitschaftspolizisten beordern alle ­Passanten hinter die Absperrgitter und halten jeden Zuschauer genau im Auge. Niemand darf auch nur ein Handy in die Hand nehmen. Fotos vom Hinrichtungsort sind absolut verboten, sie könnten den Ruf des Landes schädigen. Imbiss-Stube und Café unter den Arkaden müssen schließen, die Plastikstühle zusammenräumen und die eisernen Rollladen herunterlassen.

Am Ende fahren mit Blaulicht und Sirenen zwei Gefangenentransporter und zwei Krankenwagen vor, gefolgt vom Geländewagen des Staats­anwalts und einem weißen Pick-up mit Verwandten eines Mordopfers. Nach Scharia-Recht kann die Familie den zum Tode Verurteilten im letzten Moment begnadigen. Dann wird ein Blutgeld fällig, der Tarif für Mord liegt in Saudi-Arabien gegenwärtig bei 60.000 Euro. Doch die Verwandten lehnen endgültig ab, exakt sechs Minuten später ent­fernen sich die beiden Henker mit strammem Schritt vom Exekutionsort. Ein Krankenwagen rollt heran, Sanitäter schlagen die Enthaupteten in die blutgetränkten Decken, hieven sie auf Bahren und schieben sie ins Innere, dann jagen sie ­heulend davon.

Pakistanische Gastarbeiter schrubben die Steine

Der pensionierte Geheimdienst-General Aziz wirkt erleichtert und zufrieden, steckt sich eine Zigarette an und spendiert den ausländischen Besuchern Dosen-Cola aus dem Imbiss. Ob es ihnen gefallen habe und ob sie denn wiederkommen werden, will er wissen. „Wir hätten allen IS-Leuten sofort die Köpfe abschlagen ­sollen wie diesen Mördern, dann hätten wir dieses Problem heute nicht“, deklamiert er in die Runde.

Am Hinrichtungsort steht jetzt der weiße Tankwagen, der die ganze Zeit hinter den Zuschauern im Vorhof der Moschee gewartet hatte. Pakistanische Gastarbeiter schrubben die Steine, einige Saudis in weißen Gewändern schauen zu. Mit einem dicken Schlauch wird das Blut in den speziellen Abfluss in der Platzmitte gespült. Und dann sind die jungen Fußballer vom Mittag ­wieder da. Einer im Ronaldo-Trikot lässt den Ball tanzen. Andere kurven lachend um die große Pfütze.