Baumholder. Der Einsatz in Krisengebieten wird immer gefährlicher. In Rheinland-Pfalz proben Zivilisten eine Woche lang den Ernstfall. Der Ort trägt den Phantasienamen “Rabiatistan“, Ähnlichkeiten mit existierenden Ländern sind nicht zufällig. Nicht jeder ist dem Kurs gewachsen, der Psycho-Druck ist hier enorm.

Sie wissen: Dies ist kein Ernstfall. Aber eben ist mit einem ohrenbetäubenden Knall eine „Handgranate“ explodiert, alles hat sich zu Boden geworfen, Schreie gellen, und Frauen in langen Gewändern ziehen und zerren nun an ihnen. Sie sind mitten in Rabiatistan, in diesem Phantasieland, in dem sie auf ihre realen Einsätze in Krisengebieten vorbereitet werden sollen. Aber manchmal, in all diesem Spiel, in all der Maskerade, da wirkt die Szenerie bedrohlich real. Das Land, die fremden Menschen, die eigene Hilflosigkeit.

So wie Soldaten bei der Bundeswehr im bayerischen Hammelburg auf ihre Einsätze in Krisengebiete vorbereitet werden, so trainieren zivile Helfer im pfälzischen Baumholder. Eine Woche lang Camp-Leben, wenig Schlaf und ständig neue Situationen, in denen ihre Belastungsgrenzen getestet werden. Denn wer für zivile Hilfsorganisationen wie DRK, Johanniter oder Technisches Hilfswerk in Katastropheneinsätze geht, der ist immer öfter Gefahren ausgesetzt: Anschläge, Überfälle, Entführungen.

Fünf Tage extreme Lagen

Und genau das üben die 24 Frauen und Männer nun hier auf diesem Truppenübungsplatz. Wie erkenne ich eine Mine, die im unwegsamen Gelände vergraben wurde? Wie ein nicht gezündetes Granatengeschoss? Wie verhalte ich mich, wenn ich überfallen und mit Waffen bedroht werde? Fünf Tage extreme Lagen. Immer neue Aufgaben, Stress bis in die tiefe Nacht, bis zur völligen Ermüdung. Denn so würde es auch in der Realität sein.

Schon bei der Ankunft in Rabiatistan hatte Sophie, eine 26-jährige Geologin von der TU in Freiburg, mit der Müdigkeit gekämpft. Es ist 23.30 Uhr und stockdunkel, als der Bus in Baumholder, sprich an der Grenze zu Rabiatistan, ankommt. Doch die Wachhabenden lassen sich Zeit, allesamt müssen sie aussteigen, in der Kälte ausharren, ihr Gepäck durchsuchen lassen.

Es wird ein Uhr bis die Gruppe ins Bett kommt, fünf Stunden später startet das Programm. Frühstück, dann ab ins Gelände. Sich orientieren nur mit einem Kompass. Eben noch schien alles so entspannt, da wird ihr Jeep überfallen. Männer fuchteln mit Waffen rum, schießen in die Luft, schreien „Raus! Raus! Raus!“. Sie reagieren wie die Trainer es ihnen eingebläut haben, legen sich auf den Boden, schließen die Augen, rühren sich nicht. „Man kriegt einen ziemlichen Schrecken. Auch weil sie so brutal vorgehen“, sagt Sophie.

Bald wieder nach Afghanistan

Sie wird im wirklichen Leben bald wieder nach Afghanistan reisen. Sie wird dort für den Deutschen Akademischen Austauschdienst Stipendiaten aussuchen. Kein leichter Job ist das, als Frau in diesem Land ohnehin nicht. Ihr Training hier in Baumholder empfindet sie als „sehr intensiv“.

Nur ihre Trainer wissen, dass es noch heftiger werden wird. Sie werden Medikamente in ausgehungerte Dörfer bringen müssen, sie werden Verletzte nach einem Autounfall unter primitivsten Bedingungen versorgen müssen. Vor allem aber sollen sie permanent an den Selbstschutz denken. „Immer den 180-Grad-Blick behalten. Es sind Kleinigkeiten, die überlebenswichtig sein können!“, ermahnt sie Peter Wilde, ein Oberstleutnant, der das Training leitet. Doch der Härtetest kommt erst ganz zum Schluss. Die Entführung, die Geiselnahme. Sophie und die anderen 23 Teilnehmer ahnen davon noch nichts.

Doch man wird ihnen die Augen verbinden, sie einsperren. Fünf, sechs Stunden lang. Spezialisten der Polizei werden die Rolle der Entführer übernehmen, werden sie verhören, unter Druck setzen, womöglich bis an ihre psychischen Grenzen bringen. „Mancher erkennt bei diesem Training, dass er nicht für einen Auslandseinsatz geeignet ist und zieht daraus die Konsequenz“, sagt Wilde.

Tatsächlich sind die Einsätze gefährlicher geworden. 2012 wurden 274 zivile Helfer bei Einsätzen im Ausland Opfer von Gewalttaten, dreimal mehr als zehn Jahre zuvor.

Rabiatistan ist lediglich ein Phantasieland, das auf dem Truppenübungsplatz in Baumholder liegt. Das sind Trainer und Darsteller. Wem es hier zu gefährlich wird, wer nicht mehr mag, der sagt einfach „Exit“, Ausstieg – und der Schrecken ist vorbei.