Berlin. . Am Sonntag ist der Niedersachse der am längsten amtierende SPD-Vorsitzende seit Willy Brandt. Aber ausgerechnet jetzt bröckelt die Harmonie bei den Sozialdemokraten. Gabriel setzt auf Wirtschaftskompetenz und stößt innerparteilich beim linken Flügel auf Widerstand.
Jetzt hat er auch noch Gerhard Schröder übertroffen: An diesem Sonntag wird Sigmar Gabriel der am längsten amtierende SPD-Chef seit Willy Brandt. Fünf Jahre, zehn Tage: Gefeiert wird nicht, zu sehr erinnert das Jubiläum an wenig ruhmreiche Zeiten. Zehn Vorsitzende hat die SPD seit Brandts Abgang 1987 verschlissen.
Dass die Turbulenzen fast vergessen sind, ist zum guten Teil Verdienst des seit November 2009 amtierenden Chefs: Gabriel hat die gebeutelte SPD zur lange vermissten Geschlossenheit geführt, auch indem er die Partei in der Opposition ein Stück nach links rückte.
Keine ernste Rivalen
Vor einem Jahr ist ihm das Kunststück gelungen, die SPD trotz eines niederschmetternden Wahlergebnisses in eine Koalition auf Augenhöhe mit der starken Union zu führen. Die Sozialdemokraten stellen neun Ministerpräsidenten, nur in zwei von 16 Ländern sind sie nicht an der Regierung beteiligt. Eigentlich eine ansehnliche Bilanz. Feiern wollen die Genossen ihren Chef trotzdem nicht. Ausgerechnet jetzt ist die Stimmung in der SPD getrübt, die Harmonie bröckelt.
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Gabriel hat keinen ernsten Rivalen, aber er muss wieder einmal kämpfen. Da ist zum einen das Umfragetief: Anders als erhofft bringt auch die Große Koalition keinen Aufschwung für die SPD im Bund. Trotz Rente mit 63 oder Mindestlohn steckt die Partei im 25-Prozent-Keller. Da ist zum anderen ein wachsender Unmut auf dem linken Parteiflügel: Der nimmt dem Vorsitzenden übel, dass er sich von wichtigen Positionen des Parteiprogramms verabschiedet – die Vermögensteuer hat Gabriel schon für „tot“ erklärt, an die im Wahlkampf propagierte Umverteilung über Steuern glaubt er nicht mehr.
Er will Kanzler werden
Das ist für viele in der SPD starker Tobak. „Wir sind die Partei für Gerechtigkeit, das ist die Kernkompetenz der SPD“, warnt der Chef der Fraktions-Linken, Carsten Sieling. Der linke Flügel fühlt sich provoziert und fürchtet, Gabriel wolle die Programmatik nach rechts verschieben. Und selbst jene, die Gabriels Kurs gut heißen, wünschen sich wenigstens eine „Strategiediskussion“.
Gabriel aber scheut offenen Streit. Er will jetzt vor allem ruhig regieren, um Vertrauenskapital anzusammeln. Und er will in aller Stille die SPD wieder weiter in die Mitte rücken. Nur mit mehr Wirtschaftskompetenz, das ist seine Lehre aus den Wahlniederlagen, wird die SPD mehrheitsfähig. Im Parteivorstand ist Gabriel mit der Linken zuletzt häufiger im Zorn aneinander geraten. Nach außen aber zeigt er sich gelassen. Nicht hektisch werden, lange Linien verfolgen – mit diesem Stil will er das Klischee des Sprunghaften abschütteln, was entscheidende Bedingung ist für ein großes Ziel. Kein Zweifel, dass der Vizekanzler auch Kanzler werden will.
Wer beerbt Merkel?
Derzeit geht es aber eher darum, dass Gabriel wohl auch Kanzlerkandidat werden muss, weil niemand anders möchte: Die Chancen auf einen Sieg bei der Wahl 2017 stehen nicht gut. In der SPD wird damit gerechnet, dass Kanzlerin Angela Merkel doch noch einmal antritt – gegen sie, da sind sich Parteistrategen einig, hat kein SPD-Kandidat eine Chance. 60 Prozent der Wähler bevorzugen Merkel als Regierungschefin, zehn Prozent Gabriel. Die Option Rot-Rot-Grün zerfällt gerade unter dem Eindruck massiver außenpolitischer Differenzen.
Hinzu kommt: Gabriel müsste als Kanzlerkandidat und Parteichef einen Spagat versuchen – der letzte SPD-Kanzler Schröder schaffte 1998 den Sprung nur, weil er den Modernisierer geben konnte, während Oskar Lafontaine als Parteivorsitzender die klassischen Gerechtigkeitsthemen bediente. Entsprechend ratlos sind viele Genossen. Drei Jahre seien eine lange Zeit, heißt es beruhigend in Gabriels Umfeld. Aber schon wird in der Partei diskutiert, ob der Chef nach einer Niederlage 2017 abdanken müsste oder 2021, diesmal ohne Merkel, eine neue Chance bekäme.