Düsseldorf. Weniger Hausaufgaben, weniger Wochenstunden: Die Schulzeit für Abiturienten soll stressfreier werden. Das NRW-Schulministerium hat jetzt Expertenempfehlungen veröffentlicht, die den Druck von G8-Schülern nehmen sollen. Viele kleine Maßnahmen sollen die Arbeitsbelastung verringern.

Eine Woche nach der Abschlusssitzung des Runden Tisches zur Schulzeitverkürzung in Nordrhein-Westfalen hat das Schulministerium Empfehlungen der Experten veröffentlicht. Der 24 Seiten starke Bericht enthält ein 10-Punkte-Programm zur Optimierung des achtjährigen gymnasialen Bildungsgangs (G8).

Die Empfehlungen reichen von der Begrenzung der Hausaufgaben, des Nachmittagsunterrichts und des Lehrstoffs über die Verstärkung individueller Förderung bis hin zu Freistellungen für Schüler mit Ehrenämtern. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) möchte noch in diesem Jahr den Landtag mit Leitentscheidungen befassen. Die neuen Regelungen sollen möglichst zum nächsten Schuljahr greifen. Hier wesentliche Auszüge im Überblick:

Reduzierung der Wochenstunden

  • Am Ende der Sekundarstufe I (5.-10. Klasse) werden allen Schülern an Gesamtschulen und Gymnasien zwölf Ergänzungsstunden angeboten. Wer statt zwei sogar drei Fremdsprachen belegt, dem stehen zehn Ergänzungsstunden zu. Ziel des Zusatzunterrichts ist die individuelle Förderung – vor allem in Mathe, Deutsch, Fremdsprachen und Naturwissenschaften.
  • Das Ministerium soll klarstellen, dass Ergänzungsstunden der individuellen Förderung dienen und NICHT dem normalen Unterricht dienen.
  • Fünf der zwölf/zehn Ergänzungsstunden müssen nicht von allen Schülern belegt werden. Sie sollen nur besonders schwache und besonders starke Schüler fördern.
  • Dadurch verringert sich die verpflichtende Unterrichtszeit in der Sek. I für viele Gymnasiasten von 163 auf 158 Wochenstunden – wie in den anderen Schulformen.

Weniger Hausaufgaben

  • Das Ministerium soll ausdrücklich klarstellen, dass Hausaufgaben der individuellen Förderung und dem Vertiefen von Unterrichtsinhalten dienen. Die Aufgaben ersetzen nicht den Unterricht selbst.
  • Die zulässige Hausaufgaben-Menge wird reduziert.
  • An Tagen mit verpflichtendem Nachmittagsunterricht soll es keine Hausaufgaben geben.
  • Hausaufgaben können auch individuell aufgegeben oder erlassen werden – zum Beispiel, wenn einzelne Schüler gerade durch Referate oder Vorbereitung von Klassenarbeiten besonders gefordert sind.

Weniger Stress bei Klassenarbeiten

  • Pro Woche dürfen in der Sekundarstufe I nur noch zwei Arbeiten geschrieben werden – im Ausnahmefall drei.
  • Schriftliche Tests gibt es an Klassenarbeits-Tagen nicht mehr.
  • Noch zu prüfen: In der gymnasialen Oberstufe könnte die Zahl der Klausuren auf zwei begrenzt werden.

Fächerbindung

  • In Klasse 9 müssen derzeit alle natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer unterrichtet werden, um eine Wahlentscheidung für die Oberstufe zu erleichtern. Dadurch ist die zeitliche Belastung hoch und das Fächerspektrum sehr breit.
  • Die Schulkonferenz soll die Fächerbindung in Klasse 9 aufheben können.

Schülerlaufbahnen

  • Eine persönliche Schullaufbahn-Beratung gibt es bislang beim Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule sowie von der Sekundarstufe 1 zur Sekundarstufe 2
  • Jetzt soll es auch im Anschluss an die Orientierungsstufe (Klasse 5/6) ein beratendes Gespräch geben.

Nachmittagsunterricht

  • Die Gesamtmenge an Unterrichtszeit und Hausaufgaben wird begrenzt.
  • In der Unterstufe darf es nur einmal pro Woche verpflichtenden Nachmittagsunterricht geben (an Gymnasien ohne verbindlichen Ganztag.
  • In den Klassen 8 und 9 ist höchstens an zwei Nachmittagen Unterricht.
  • Dabei dürfen acht Unterrichtsstunden nicht überschritten werden.
  • Nach der Mittagspause darf es in den Klassen 5 bis 7 in der Regel keinen Unterricht in Klassenarbeitsfächern geben.
  • An Ganztags-Gymnasien gibt es an ein bis zwei Nachmittagen pro Woche keinen Pflichtunterricht.
  • Die Schulaufsicht sorgt dafür, dass in Ganztagsschulen die Hausaufgaben von den Lernzeiten in der Schule abgelöst werden.

Anerkennung

  • Schüler, die ein Ehrenamt übernommen haben, sollen angemessen vom Unterricht freigestellt werden können.
  • Das Ministerium veröffentlicht gute außerschulische Leistungen – auch auf dem Zeugnis.

Lehrpläne

  • Lehrpläne werden überprüft und entschlackt - vor allem in der Sekundarstufe I.

Oberstufe

  • In der Oberstufe sollen nicht zu viele Grundkurse gewählt werden, die fürs Abi nicht relevant sind.

Evaluation

  • Das Ministerium überarbeitet Erlasse und Rechtsverordnungen.
  • Die Schulaufsicht bildet regionale Qualitätszirkel.
  • Nach einem Jahr zieht das Ministerium Bilanz über die neuen Maßnahmen.

Am Runden Tisch hatten sich zur Abschlusssitzung rund 60 Interessenvertreter aus Schulen, Politik, Wissenschaft, Kirche, Sport und Wirtschaft versammelt. Die große Mehrheit votierte gegen eine Rückkehr zu neun Jahren Gymnasium (G9).

Bürgerinitiativen wollen weiter für G9 kämpfen 

Die Volksinitiative "G9 jetzt in NRW" sowie die Bürgerinitiative "G-IB-8" kündigten aber an, weiter für 13 Jahre Schulzeit bis zum Abitur zu kämpfen. Die Volksinitiative hat nach eigenen Angaben bereits über 46 000 Unterschriften für ihr Anliegen gesammelt. Wenn bis zum April 66 000 Unterschriften zusammenkommen, muss der Landtag sich erneut mit dem Thema beschäftigen.

In ihrem Minderheitenvotum zu den Empfehlungen bemängeln sie, dass mit G8 sowohl eine fundierte Bildung als auch die Entwicklung gereifter, stabiler Persönlichkeiten geopfert werde. Mit dem Übergang zur Schulzeitverkürzung 2005 seien wichtige Lehrinhalte gekürzt worden, ohne die Schüler tatsächlich zu entlasten.

Die Initiativen berufen sich außerdem auf mehrere landes- und bundesweite Meinungsumfragen, in denen sich drei von vier Bürgern gegen Schulzeitverkürzung ausgesprochen hatten. In Hamburg und Bayern waren kürzlich allerdings Volksbegehren zum neunjährigen Gymnasium gescheitert. Dagegen will Niedersachsen das Turbo-Abitur abschaffen.

Nach Angaben des Düsseldorfer Schulministeriums gibt es in NRW neben 613 Gymnasien mit acht Schuljahren zahlreiche Alternativen für das Abitur nach 13 Schuljahren. Dies sei möglich an 306 Gesamtschulen, 109 Sekundarschulen, 10 Gemeinschaftsschulen, 225 Gymnasien an Berufskollegs sowie 12 Gymnasien im Modellversuch.

Wie aus den Abstimmungsdokumenten hervorgeht, sprach sich die Landesschülervertretung am Runden Tisch grundsätzlich für eine inklusive neunjährige Ganztagsgesamtschule für alle aus, votierte letztlich aber auch für die Optimierung des G8. Auch die Landeselternkonferenz stellte sich hinter die Verbesserung, ist aber eigentlich für Wahlfreiheit der Gymnasien zwischen G8 und G9.

Lehrer, Eltern und Schüler wollen sechsjährige Sek. I

Mehrere Lehrergewerkschaften, Eltern- und Schülerverbände fordern, einen Webfehler der Schulzeitverkürzung zu reparieren: Während die Sekundarstufe I im Gymnasium fünf Jahre dauert, geht sie in den anderen Schulformen über sechs Jahre. Das erschwert den Schulformwechsel. Sie sprechen sich daher für eine sechsjährige Sekundarstufe I überall aus. (dpa)