Essen. Tödlicher Streit im Rocker-Milieu: Ein 63-Jähriger ist in Gelsenkirchen erstochen worden. Jetzt stehen vier Bandidos in Essen vor Gericht.
Ein 63 Jahre alter Mann starb in Gelsenkirchen-Rotthausen auf der Straße, blutete zuvor aus mehreren Stichwunden in seinem Rücken. Lange Zeit tappte die Polizei im Dunkeln, dann war sie sich nach Monaten sicher, dass es sich um einen Streit verfeindeter Clubs im Rockermilieu handeln muss.
Seit Mittwoch stehen deshalb vier Bandidos aus Bochum, Dortmund, Essen und Herne vor dem Essener Schwurgericht. Auf Totschlag lautet die Anklage.
Der 63-Jährige, laut Ermittlungen Vizepräsident des Hattinger Chapters der Freeway Riders, hatte am Abend des 12. Oktober 2018 im Gelsenkirchener Clubheim der Freeway Riders mit anderen Rockern gefeiert. Alkohol floss reichlich. Rund zwei Promille Alkohol hatte er im Blut, als er starb.
Ein Anwohner entdecke den schwerverletzten Freeway Rider
Gegen Mitternacht soll er sich auf den Heimweg gemacht und das Clubheim verlassen haben. Auf der Straße soll es zu einem lautstarken Streit gekommen sein. Ein Anwohner entdeckte den Schwerverletzten, rief Hilfe, doch der Mann war nicht mehr zu retten.
Laut Anklage hatten der Dortmunder Nick L. (25), der Bochumer Firat A. (27), der Essener Ulas U. (24) und der Herner Burhan G. (25) den älteren Mann hinterrücks angegriffen. Sie alle sollen mit den Bandidos in Verbindung stehen.
Vier Messerstiche in den Rücken des 63-Jährigen
Viermal sollen sie ihm in den Rücken gestochen haben, außerdem in den Oberschenkel. Schließlich sollen sie dem Freeway Rider noch die Kutte gestohlen und als Trophäe mitgenommen haben.
Zum Motiv bleibt die Anklage von Staatsanwältin Sonja Hüppe vage. Ein direkter Konflikt in Gelsenkirchen oder Hattingen ist den Ermittlern wohl nicht bekannt geworden. In ihrer Anklage heißt es dazu nur, beide Gruppen seien "zumindest im Raum Hagen miteinander verfeindet".
Die Anklage nennt kein direktes Motiv für die Tat
Sie geht zwar von einem "zuvor gefassten gemeinsamen Tatplan" aus, lässt aber offen, warum zugestochen wurde. "Aus nicht näher bekannt gewordenen Gründen", heißt es in der Anklage.
Am stärksten belastet die Angeklagten eine DNA-Spur im Inneren des Audi A8, der Nick L. gehört. Sie entspricht der DNA des Getöteten, könnte von der Kutte stammen, die die Angeklagten mitgenommen haben sollen. Zur Tatzeit will auch ein Busfahrer den Wagen gesehen und sich das Kennzeichen notiert haben. Die Funkzellenauswertungen zeigen zudem, dass die Handys der Angeklagten sich um Mitternacht im weiteren Umfeld des Tatortes befunden haben.
Die Rocker-Kutte ist bis heute nicht gefunden worden
Und dann geht es um die Kutte des Opfers, eine braune Lederjacke mit Fransen, die den 63-Jährigen als Freeway Rider auszeichnete. In Rockerkreisen gilt es als demütigend, wenn ein verfeindeter Club die Kutte raubt. Doch wo die Jacke ist, wissen die Ermittler nicht. Beim Opfer war sie nicht, in seiner Wohnung auch nicht. Aber auch die Durchsuchungen bei den Bandidos brachten keinen Erfolg.
In die Ermittlungen spielte zwar auch hinein, dass der Verstorbene zu Lebzeiten Streit mit einer rumänischen Großfamilie hatte. Doch letztlich sah die Polizei als wahrscheinlichste Möglichkeit eine Auseinandersetzung im Rocker-Milieu. Lebensfremd ist das nicht, denn aktuell laufen in Bochum und in Hagen entsprechende Verfahren vor Gericht.
Freeway Rider kündigte auf Facebook "Jagdzeit" an
Zu diesem Verdacht passte auch, dass Milieu-Größe Frank S., selbst in führender Position bei den Essener Freeway Riders, wenige Stunden nach dem Tod des 63-Jährigen Vergeltung ankündigte. Auf Facebook postete er, dass "Ratten" einem alten Mann das Leben genommen hätten und "jetzt die Jagdzeit angesagt ist, ihr Hunde".
Fünf Monate nach den tödlichen Stichen schlugen die Ermittler zu, nahmen die vier Angeklagten fest. Zum Prozessauftakt kamen viele Freunde der Angeklagten in den Gerichtssaal. Friedlich verhielten sie sich, Kutten durften sie nicht tragen.
Gericht sieht auch Verurteilung wegen Mordes
Viel zu hören war für sie nicht. Weil die vier Angeklagten schweigen, kam es nur zur Anklageverlesung. Richter Jörg Schmitt erläuterte noch kurz, wie das Schwurgericht den Fall später auch bewerten könnte. Nicht als Totschlag, sondern als heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen und in Zusammenhang mit dem Raub der Kutte. Lebenslange Haft wäre die Folge.
Aber Schmitt schränkte gleich ein, welches Problem die Kammer dafür an zunächst geplant 24 Sitzungstagen lösen müsste: "Voraussetzung dafür ist natürlich der Tatnachweis."