Düsseldorf. Im Loveparade-Prozess hat ein Zeuge ausgesagt, er habe eine höhere Versicherungsumme empfohlen, “falls vielleicht doch jemand stürzt”.

25 Tage lang haben sie in diesem Prozess die schrecklichsten Geschichten gehört, von Todesangst und Todeskampf bei der Loveparade 2010 in Duisburg. Seit Mittwoch geht es vor Gericht in Düsseldorf nun um das, was eigentlich angeklagt ist: die möglichen Fehler bei der Planung des Technofests mit 21 Toten.

Tag 26 beginnt fast ein wenig erleichtert. Es ist erst einmal vorbei mit den Tränen der Zeugen, mit den Bildern sterbender Menschen, mit den schonungslosen Schilderungen der Gerichtsmediziner. Niemand würde das so aussprechen, aber es wird gelacht auf den Fluren, man kennt sich inzwischen, Angeklagte scherzen mit Justizbeamten, eine Bedienstete nennt die 30 Verteidiger einen “Sack Flöhe”. Und auf dem Flur begrüßt der angeklagte damalige Produktionsleiter den heutigen Zeugen mit einem freundschaftlichen Händedruck.

Zeuge spricht von politischer Einflussnahme

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Der 56-Jährige ist der erste, der in diesem Prozess zur Planung der Loveparade aussagen soll. Ein leitender Angestellter der Firma, der das Veranstaltungsgelände gehörte, die es entwickeln sollte, die für den alten Güterbahnhof den Namen “Duisburger Freiheit” erfand. Die aber gescheitert war mit ihren Plänen und dann für die Loveparade bereitwillig ihre Brache aufhübschte. Warum?

Das Gericht will wissen, wie wurde was wann angebahnt, wie stark war der Wille der Stadt, die Technoparty unbedingt zu bekommen, der Vorsitzende Mario Plein fragt es sehr deutlich: “Hat jemand Druck ausgeübt?” Der Zeuge antwortet langsam, überlegt. Dass er “die Bedeutung durchaus verstanden” habe - obwohl etwas wie die Loveparade “nicht zu meinem Kulturverständnis” gehört habe. Dass vor allem der damalige Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe ihm deutlich gemacht habe, dass diese wichtig war. Dass “es eine politische Situation gab, dass man die Loveparade durchführen möchte”. Er sagt sogar: “Politische Einflussnahme gab es”, aber nein, “einen Druck habe ich nicht mitbekommen”.

Angespanntes Verhältnis zu Stadt Duisburg

Trotzdem machte seine Firma möglich, dass Veranstalter Lopavent “uneingeschränkte und exklusive Nutzungsrechte” bekam. Und sie bereitete das Gelände vor: ebnete Böschungen ein, brach alte Bahnsteige, Mauern, ganze Gebäude ab, füllte Löcher auf, teerte, machte zigtausend Quadratmeter “stolperfrei”. Nur entlang der Rampe, wo später 21 Menschen starben und 650 verletzt wurden, tat man nichts: “Das stand nicht im Herrichtungskonzept.”

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650.000 Euro hat das gekostet, mehr als 100.000 davon sah man als Sponsoring, der “Rest”, sagt der Zeuge, seien “Sowieso-Kosten” gewesen: Arbeiten, die ohnehin anstanden, wenn man das Gelände vermarkten wollte. Und das war schließlich das Interesse der Firma, die nach dem Scheitern erster Pläne “verärgert” war über die Stadt Duisburg, danach eine “angespannte” Beziehung nicht einmal mehr pflegte, nun aber “das Gesprächsklima verbessern” wollte. “Wir waren auf ein gutes Verhältnis zur Stadt angewiesen.”

Wer das beförderte, daran kann sich der 56-Jährige kaum noch erinnern. Was er noch weiß, ist, dass Dezernent Rabe Genehmigungen verschaffte und “Probleme aus dem Weg räumte”. Und dass er, der Zeuge, auf eine höhere Versicherungssumme drängte, “falls vielleicht doch jemand stürzt”. Eine “rein abstrakte Betrachtung der Risiken” sei das gewesen. “An dieses so schreckliche Ereignis haben wir nicht gedacht.”

HINTERGRUND:

Als einziger Nebenkläger saß am 26. Prozesstag im Düsseldorfer Congress Centrum auch der Ehemann eines damals 38-jährigen Todesopfers aus China. Er war schon am Tag zuvor angereist, als ein Gerichtsmediziner die Obduktionsberichte vom 24. Juli 2010 vortrug, darunter auch den seiner Frau. Um das qualvolle Ersticken von 21 Menschen war es an mehreren Prozesstagen gegangen, der Chinese zeigte äußerlich keine Regung.

Damit ist die Befragung der Pathologen nun beendet, zunächst auch die der Nebenkläger. Diese hatten zuerst aussagen dürfen, damit sie anschließend als Zuschauer am Prozess teilnehmen dürfen - was bislang kaum jemand tut. Einige wenige weitere Termine wird es für die Nebenkläger noch geben, weil sie etwa aus Krankheitsgründen oder wegen weiter Anreise bisher verhindert waren.

Den Reigen der “prominenten” Zeugen eröffnet am 27. April der ehemalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland. Er soll an zwei Tagen Aufschluss darüber geben, ob es öffentlichen Druck der Stadtspitze gegeben hat, die Loveparade unbedingt stattfinden zu lassen. Und ob die Sicherheitsbedenken bei Politik und Behörden bekannt waren. Später sollen auch der Chef des Veranstalters Lopavent, Rainer Schaller, und der damalige NRW-Innenminister Ralf Jäger in den Zeugenstand treten.