Essen/Köln. Ein Ex-Bundespolizist packt aus: Schießtraining werde reduziert, um Patronen zu sparen, Infektionsschutz sei veraltet, die Ausbildung überholt.

  • Ex-Bundespolizist Nick Hein gewährt einen Blick hinter die Kulissen
  • Buch "Polizei am Limit"
  • Kritik an personeller und materieller Ausstattung

Der 32-jährige Kölner Nick Hein ist heute Kampfsportler. Er gibt Seminare zur Selbstverteidigung, ist international unterwegs zwischen der Domstadt und Los Angeles. Doch in seinem „Vorleben“ war er Polizist. Bundespolizist. Elf Jahre stand er im Staatsdienst, drei davon an einem der „harten Pflaster“ (Hein) der Einheit: dem Kölner Hauptbahnhof .

Jetzt versucht er, einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln, dass seine alten Kollegen bei der Bundespolizei „am Limit“ arbeiten – was die personelle wie auch die materielle Ausstattung betrifft. „Polizei am Limit“ heißt sein Buch (Verlag rororo, 9,99 Euro), das vor wenigen Tagen erschienen ist. Hein beschreibt, wo im bevölkerungsstärksten Bundesland NRW die Defizite liegen und wie es dazu gekommen ist.

"Was die Arbeit der Polizei sabotiert“

Die Dramen rings um die Silvesternacht 2015 und die Flüchtlingskrise spielen eine zentrale Rolle. Insgesamt decken sich die detailreich dargestellten Erkenntnisse über die beschämende Nacht mit den Berichten im Untersuchungsausschuss des Landtags. Ganz anders verhält es sich mit seinem zweiten großen Kapitel. „Bedingt einsatzbereit – was die Arbeit der Polizei sabotiert“, heißt es. Hier wirft er einen Blick hinter die Kulissen, der erschrecken lässt.

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Hein spricht vom „großen Personalproblem“ bei der Bundespolizei, vom Abbau der Stellen in den vergangenen Jahren, vor allem aber darüber, dass die Führung auch im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus falsche Entscheidungen trifft. Er nennt Beispiele.

Hein: Beamten nach Anschlägen lediglich umverteilt

Nur zwei Wochen nach den Anschlägen in Brüssel am 22. März 2016 wird am 4. April ein großer Teil der an der Grenze in Aachen stationierten Einsatzkräfte an den Flughafen Köln-Bonn verlegt. In Aachen „fehlt nun gut die Hälfte der Beamten, die u.a. zur Überwachung der 284 Kilometer langen Grenze nach Belgien und Holland benötigt werden“. Genau diese Grenze jedoch sei zuvor gerne von den Top-Terroristen genutzt worden, die die Attentate von Paris und Brüssel vorbereitet hätten.

An allen Bahnhöfen und Flughäfen wurde nach den Anschlägen in Paris und Brüssel die Alarmstufe hoch gesetzt. Die Anweisung: Bundespolizei-Patrouillen mussten mit drei Beamten statt bisher mit zwei unterwegs sein. Hein über die Streifen am Kölner Hauptbahnhof: „Der dritte Beamte geht zu Lasten einer anderen Zweierstreife mit – es handelt sich um eine bloße Umverteilung“. Auch wurden - Stand Oktober 2016 - der Bundespolizeiinspektion Köln für das Jahr neue Stellen zugesprochen. Es waren drei.

Schießtraining reduziert, "um Geld für die Patronen zu sparen"

Der frühere Bundespolizist hält die Ausbildung für hoffnungslos veraltet. Wie ist mit verdächtigen Koffern an Flughäfen und Bahnhöfen umzugehen? Das Wissen darüber wird nicht etwa unterrichtet. „Alles, was ich über Sprengsätze weiß, habe ich im Wesentlichen von Bernd gelernt“. Bernd ist ein alter Kollege Heins. Übersetzt: Man eignet sich privat an, wie im Dienst zu handeln ist. Ähnliches gilt für das Schießen. Das allgemeine Schießtraining ist nach den Angaben des Autors in den Dienststellen reduziert worden und finde „nur noch alle drei Monate statt, um Geld für die Patronen zu sparen“,

Auch bei der Materialbeschaffung sind die Bundespolizisten auf Eigeninitiative angewiesen. „Meine erste eigene Anschaffung war eine leistungsstarke Taschenlampe“ - für nächtliche Einsätze auf Bahngelände. Auch Schutzanzüge gibt es nicht ausreichend. Vor allem fehlt es am Infektionsschutz vor Krankheiten wie Aids, Tuberkulose und Hepatitis. „Bei Personendurchsuchungen ist die Gefahr durchaus real“, schreibt Nick Hein, und nennt „erkrankte Obdachlose oder auch Junkies“ als potentielle Gefahrenherde. „Um uns zu schützen, stand uns lediglich ein einfacher Mundschutz aus Papier zur Verfügung, dessen Verfallsdatum oft abgelaufen war“. Hein berichtet: „In der Informationsdatenbank der Polizei werden sie deshalb immer mit der Anmerkung 'Ansteckungsgefahr' gekennzeichnet“.

Funklöcher erschweren die Kommunikation

Dramatisch sieht es laut „Polizei am Limit“ mit der Ausstattung beim Funkverkehr aus – vor allem nach der verspäteten Einführung des Digitalfunks. Hier geht die Bewertung des Ex-Bundespolizisten über die in NRW stationierte Bundespolizei hinaus und betrifft auch die der Landespolizei.

Funklöcher seien nicht nur in der Neujahrsnacht in Köln am Hauptbahnhof aufgetreten und hätten die Kommunikation zwischen Bundes- und Landespolizisten erschwert. „Der Kölner Hauptbahnhof ist kein Einzelfall. An vielen öffentlichen Orten, wie zum Beispiel Tiefgaragen, ist die Versorgung mit Funksignalverstärkern, so genannten Repeatern, derzeit mangelhaft, und zwar in vielen Bundesländern“. Was zu merkwürdigen Verrenkungen im Einsatz führt: „Wer beispielsweise … bei einer Personenkontrolle einen Funkspruch absetzen will, muss den Kollegen oder die Kollegin alleine lassen und in eine andere Passage ausweichen, wo der Empfang besser funktioniert – in der Hoffnung, dass sich die Kontrollierten ruhig verhalten“. Gegen eine Beschaffung von Smartphones hatte sich die Polizeiführung zugunsten eines eigenen, geschützten Digitalsystems entschieden.

Auch Notrufe aus der Bevölkerung kommen übrigens nicht immer bei der NRW-Polizei an, sagt Hein. Das Notruf- und Leitstellesystem sei bei den 49 Leitstellen technisch unzureichend. Wartungsverträge fehlten. Laut einem eigenen Bericht des NRW-Innenministeriums seien zwischen 2012 und 2015 eine halbe Million Notrufe nicht zu den Leitstellen durchgedrungen, das sind etwa sechs Prozent.

Nicht alle Vorwürfe Heins werden von Experten bestätigt. So hält die Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Ausrüstung für weitgehend in Ordnung. Aber die Bundespolizei selbst äußert sich nicht zu den Eindrücken, die ihr ehemaliger Mitarbeiter schildert.