Berlin. . Einst Flughafen, heute Freizeitpark: Berlin streitet um die künftige Nutzung der Freifläche Tempelhof. Ein Teil soll bebaut. Die einen sprechen von bezahlbarem Wohnraum, die anderen malen das Gespenst der Gentrifizierung an die Wand.
Ahhh, diese Weite! In der vollgestopften Welt ist Leere echter Luxus – und das pure Nichts auf dem alten Tempelhofer Flugfeld inzwischen eine der größten Attraktionen von Berlin: Mitten im Häusermeer gibt es hier Licht, Luft und Leere im Überfluss.
Am Sonntag sollen jetzt die Berliner per Volksentscheid erklären, ob das Tempelhofer Feld an den Rändern bebaut werden darf oder unangetastet bleibt. Wiese oder Wohnungen? Berlin ringt mal wieder um seine Zukunft.
Wolken zählen oder Gemüse anpflanzen
Seit 2008 ist der alte Flughafen Tempelhof stillgelegt. Zwei Jahre später wurde das Flugfeld als gigantische Spielwiese eröffnet. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gehört heute das früher streng gesicherte Areal dem Volk.
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„Wo gibt es das sonst schon?“, fragt Berlin-Touristikerin Katharina Dreger. Eine Wiese mitten in der Stadt, mehr als 500 Fußballfelder groß, im Sommer ein gigantischer Spielplatz für Radfahrer, Inline-Skater und Lenkdrachen, im Winter das wohl größte innerstädtische Langlauf-Areal der Welt. Wer zum ersten Mal aufs Tempelhofer Feld kommt, staunt über die schiere Weite mitten in der Millionenstadt Berlin: „Die Leute erleben einen Flash.“
Die „Tempelhofer Freiheit“ liefert genau das, wofür Touristen und Zugezogene die Hauptstadt so lieben – urbane Experimente. Die wichtigsten Zutaten: ein spektakulärer Ort, der aus allen Poren Geschichte atmet, ein Provisorium, das auf eine neue Nutzung wartet, und dazu jede Menge Leute, die Lust haben, sich das Niemandsland zu erobern. Indem jeder macht, was er gerne macht: Picknicken, Wolken zählen oder Gemüse anpflanzen.
Bürgerginitiative kämpft für das Modell "Wiese pur"
Die 84-jährige Hildegard Hantke zieht wie Dutzende andere Flugplatzgärtner am Rand der Wiese Kartoffeln und Schnittlauch in mobilen Holzkisten und Plastikwannen, Kite-Surfer rasen über die alte Rollbahn, Studenten und türkische Großfamilien grillen am Flugfeldrand. Berlinbesucher, die mit Kindern unterwegs sind, planen ein paar Stunden zum Durchatmen auf dem Tempelhofer Feld ein – der perfekte Ausgleich zu Museen, Gedenkstätten und Shoppingmeilen.
Das alte Flugfeld funktioniert wie das Internet, finden die Helden in Thilo Bocks Roman „Tempelhofer Feld. Ein Freiluftroman“, der gerade erschienen ist. Jeder kann sich ausprobieren, Platz genug ist da.
Die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ will, dass das auch in Zukunft so bleibt: Während Klaus Wowereits rot-schwarze Regierung zumindest an den Rändern Wohnungen bauen will, kämpft die Bürgerinitiative, unterstützt von Grünen, Linken und Piraten, für Wiese pur.
Dabei will der Senat immerhin 230 Hektar des ehemaligen Flugfeldes per Gesetz schützen – eine Fläche größer als das Fürstentum Monaco. Nur an den Seiten sollen bis zu 4700 Wohnungen entstehen – teilweise mit gedeckelten Mieten, um den akuten Mangel an bezahlbaren innerstädtischen Wohnungen abzumildern.
Kritiker trauen der Sache nicht: Sie befürchten stattdessen neue Luxusviertel, die auch in den umliegenden Stadtteilen die Preise steigen lassen. „Gentrifizierung!“, schimpfen sie, „Stillstand!“, kontern die anderen. Es ist die gewohnte Berliner Tonlage.
Knappe Mehrheit gegen die Bebauung
Burkhard Kieker, Cheftouristiker von „Visit Berlin“, glaubt nicht, dass die Bebauung der Magie des Ortes schadet. Im Gegenteil: „Ist Berlin nicht die Stadt des Wandels?“ Die jüngste Umfrage vor dem Volksentscheid am Sonntag zeigt jedoch eine knappe Mehrheit gegen die Bebauungspläne des Senats.
Die Gegner haben in den letzten Monaten aufgeholt. „Würden Sie diesem Mann noch einen Flughafen anvertrauen?“, fragt das Grünen-Plakat und zeigt Wowereit, wie er schlapp in seinem Amtssessel hängt. Am Ende wird es darauf ankommen, wer die meisten Anhänger mobilisieren kann. Noch ist alles offen.